Cover Die wilden Vier und der Schatz im Rathauskeller

Ein glück­li­cher Zufall 

Autor: Harald Schneider

Am nächs­ten Tag in der gro­ßen Pause lie­fen die wil­den Vier wie so oft zu ihrer Lieblingssitzbank am Ende des Schulhofes. Dort konn­ten sie sich unge­stört unter­hal­ten und neue Pläne schmie­den oder ihre berühm­ten Streiche aushecken.

Es wur­de bereits Herbst, des­halb waren die Bänke und Tische mit Laub bedeckt. Um sich ihre Klamotten nicht nass und schmut­zig zu machen, setz­ten sich die Vier auf die Rückenlehnen der zwei gegen­über­ste­hen­den Bänke.

„Mensch, Sandra. Marcs Onkel war ganz schön sau­er, als du ihm gesagt hast, dass sei­ne anti­ke Amphore eine Fälschung ist!“, begann Kevin.

„Hoffentlich ist er nicht all­zu böse auf mich“, mein­te Sandra besorgt. „Aber ich muss­te ihm das ein­fach sagen. Es ist ein­deu­tig, dass 490 Jahre vor Christus noch nie­mand wis­sen konn­te, dass knapp fünf­hun­dert Jahre spä­ter die Zeitwende kom­men wür­de und dann die Jahre nach Christi Geburt gezählt werden.“

„Ach, mach dir da mal kei­ne Gedanken drü­ber. Mein Onkel hat mir spä­ter gesagt, dass er ganz froh ist, die Wahrheit zu ken­nen. Sonst hät­te es viel­leicht spä­ter irgend­je­mand ande­res bemerkt und dann hät­te er sich noch viel mehr bla­miert. Er hat die Vase im Keller ver­schwin­den las­sen, bis er den hohen Kaufpreis geis­tig über­wun­den hat“, erzähl­te Marc.

Sandra war nun etwas beru­higt und atme­te erleich­tert auf.

„Aber jetzt mal was ganz ande­res“, sag­te Marc wei­ter. „Mir geht die Geschichte mit Kommissar Greulich nicht aus dem Kopf. Wisst ihr noch? Bei unse­rem Besuch vor ein paar Wochen hat unser guter Elvis mit sei­nem Schwanz die­se Karte von sei­nem Schreibtisch gefegt. Es soll so etwas wie eine Schatzkarte sein, die eine Frau beim Entrümpeln gefun­den hat. Sagte der Kommissar nicht, dass es sich um das Vermögen ihres Großvaters han­delt, der im letz­ten Krieg ver­schwand? Das wäre doch genau das Richtige für uns?“

„Ist bloß aus­ge­spro­chen blöd, dass wir den Namen der Frau nicht ken­nen und Kommissar Greulich wird uns den ganz bestimmt nicht geben“, gab Kevin kopf­schüt­telnd zu bedenken.

Sandra lach­te. „Greulich brau­chen wir dazu gar nicht, denn zufäl­lig habe ich mir auch die Rückseite des Zettels ange­se­hen. Und da stand der Name der Frau groß und breit drauf!“

„Was?“, kam es aus drei Kehlen gleich­zei­tig. „Du kennst den Namen die­ser Frau? Warum hast du das nicht gleich gesagt?“

„Hat mich ja kei­ner gefragt“, erwi­der­te Sandra, „Die gute Frau heißt Marsanek.“

„Was? Das gibt’s doch nicht!“, rie­fen die drei über­rascht. Jetzt war Sandra verwirrt.

„Warum regt ihr euch so auf? Das ist doch nichts Besonderes, jeden­falls ken­ne ich nie­man­den mit die­sem Namen!“

„Du viel­leicht nicht, denn du bist erst vor zwei Monaten nach Ludwigshafen gezo­gen. Aber zufäl­lig gibt es in unse­rer Parallelklasse einen Daniel, der mit Nachnamen Marsanek heißt“, klär­te Kerstin sie auf.

„Und der ist zufäl­lig im glei­chen Fußballverein wie ich“, füg­te Kevin laut­stark hin­zu. „Allerdings ist er der größ­te Angeber aller Zeiten“.

„Das tut jetzt nichts zur Sache“, sag­te Kerstin zu ihrem Bruder. „Außerdem fin­de ich, dass er sehr nett ist.“

„Aber im Fußball ist er eine Null. Der Typ hat abso­lut kei­ne Orientierung“, erwi­der­te Kevin.

„Was willst Du? In der letz­ten Saison war er bei euch sogar Torschützenkönig, oder?“

„Ja, das stimmt schon“, grins­te Kevin hämisch. „Acht Tore hat er geschos­sen. Hat er dir auch ver­ra­ten, dass fünf davon Eigentore waren?“

Sandra lausch­te gespannt dem geschwis­ter­li­chen Streitgespräch. „He, ihr bei­den, hört auf. Ist doch egal, ob der Daniel euer Typ ist oder nicht. Hauptsache, er rückt die Adresse raus. Vorausgesetzt, die Dame ist tat­säch­lich mit ihm verwandt.“

„Okay, okay, ich wer­de mein Möglichstes tun“, lenk­te Kevin ein. „Morgen Mittag habe ich Training, dann fra­ge ich ihn. Für ein neu­es Abenteuer tu ich doch fast alles. Soll ich ihm auch Grüße von dir aus­rich­ten, Kerstin?“

Kevin konn­te gera­de noch dem Tritt sei­ner Schwester aus­wei­chen. Doch ihre Wut war gleich dar­auf ver­flo­gen und alle vier lach­ten über den Scherz.

Am nächs­ten Mittag saßen Kerstin, Marc und Sandra mit Dalmatiner Elvis in ihrem Clubraum im Keller der Zwillinge und war­te­ten auf Kevin, der gleich nach dem Training nach­kom­men wollte.

Sandra kleb­te gera­de ein Foto der gefälsch­ten Amphore in den Sammelband mit den Streichen der wil­den Vier ein. Hier doku­men­tier­ten die Jugendlichen ihre zahl­reich durch­ge­führ­ten Aktionen.

Da Sandra erst seit eini­gen Wochen zu den wil­den Vier gehör­te, blät­ter­te sie immer wie­der inter­es­siert in dem dicken Ordner. Zufällig fiel ihr Blick auf fol­gen­den Eintrag:

Martin Luthers 95 Thesen

Unser Religionslehrer hat­te eine Angewohnheit, die uns manch­mal schwer zu schaf­fen mach­te. Er ver­schluck­te näm­lich des Öfteren die Endungen von so man­chen Wörtern. Ohne stän­di­ge Konzentration war es des­halb nicht mög­lich, dem Unterricht rich­tig zu fol­gen. Einmal kurz mit dem Gedanken bei der Planung der nach­mit­täg­li­chen Freizeit, schon wuss­te man nicht mehr, von was er eigent­lich sprach. Und unser Lehrer konn­te in 45 Minuten wirk­lich viel reden. Wehe man wur­de in solch einer ver­fäng­li­chen Situation auf­ge­ru­fen. Herr Bastian war schon uralt und streng wie die Hölle. Wir ver­mu­te­ten, dass er eigent­lich schon vor über 300 Jahren pen­sio­niert wer­den soll­te, er aber auf kei­nen Fall frei­wil­lig ging.

Eines Tages kamen auch die 95 Thesen dran, die Luther nach einer Legende im Jahre 1517 an eine Kirchentür in Wittenberg anschla­gen ließ.

Kerstin bemerk­te schon im Unterricht, dass Kevin offen­sicht­lich etwas nicht ver­stand, denn er mach­te ein selt­sam fra­gen­des Gesicht, als wür­de er die Geschichte nicht ganz kapie­ren. Nach der Stunde, als wir uns im Pausenhof tra­fen, frag­te er uns ver­ständ­nis­los, was Luther mit die­sem selt­sa­men Anschlag über­haupt bezweck­te. Und erst da kam das fata­le Missverständnis zu Tage. Wir hiel­ten uns den Rest der Pause den Bauch vor Lachen. Auch spä­ter im Unterricht konn­ten wir uns kaum kon­zen­trie­ren und muss­ten immer wie­der kichern.

Bevor wir nun das Missverständnis auf­lö­sen, erzäh­len wir erst ein­mal unse­ren Lutherstreich, den wir zwei Wochen spä­ter beim Tag der offe­nen Tür unse­res Schulzentrums durchführten.

Jeweils eine Gruppe Schüler soll­te ein Thema des Unterrichtes auf­be­rei­ten und den Eltern vorstellen.

Wir haben uns in Absprache mit Herrn Bastian für die 95 Thesen ent­schie­den. Herr Bastian sag­te uns noch, er freue sich sehr, dass sich sei­ne Schüler heut­zu­ta­ge noch für kirch­li­che Themen inter­es­sie­ren. Wir glau­ben, er hat dies spä­ter auf jeden Fall bit­ter­lich bereut.

So kam der Tag, den wir alle her­bei­sehn­ten. Die Aula war bre­chend voll. Außer den Lehrern und Schülern waren jede Menge Eltern anwe­send. Es wur­den Ansprachen gehal­ten, die nie­man­den inter­es­sier­ten. Jedenfalls uns Schüler nicht. Und die Eltern war­te­ten nur auf die Aufführung ihrer Sprösslinge.

Und dann kam der abso­lu­te Höhepunkt! Herr Bastian betrat die Bühne und kün­dig­te uns an. „Seine“ Klasse, bzw. ein Teil davon, habe sich die 95 Thesen des Martin Luther vor­ge­nom­men und wol­le sie den Zuschauern vorstellen.

Auch bei die­ser Einleitung hat er ein paar Wortendungen ver­schluckt; bestimmt ist das auch eini­gen Eltern auf­ge­fal­len. Doch was nun kam, war der abso­lu­te Hammer: Wir tru­gen eine Stellwand auf die Bühne, die mit einem Tuch ver­hüllt war. Das haben wir uns wegen des Überraschungseffekts aus­ge­dacht. Schließlich hat­te Herr Bastian unser Werk auch noch nicht gesehen.

Nun stell­ten wir uns stolz dane­ben und lüf­te­ten unse­re geheim­nis­vol­le Arbeit.

Erstauntes Gemurmel aus dem Publikum. Einige weni­ge ver­stan­den sofort und lach­ten unge­niert laut­hals her­aus. Andere hat­ten nichts kapiert und wur­den von ihren Nachbarn aufgeklärt.

Auch unser Rektor hat­te sofort begrif­fen und lief pur­pur­rot an. Um nicht zu lachen, biss er sich in sei­nen lin­ken Zeigefinger.

Herr Bastian, der schräg hin­ter der Tafel gestan­den hat­te, war als ein­zi­ger über die Reaktionen im Zuschauerraum erstaunt. Kein Wunder, hat­te er unser Werk bis­her noch nicht gese­hen. Zögernd kam er her­vor, und dann traf ihn fast der Schlag:

Exakt 95-mal war der Buchstabe „T“ auf unse­rem Plakat zu sehen. Große T’s, klei­ne T’s, ver­schnör­kel­te T’s, rote T’s, grü­ne T’s und sogar karier­te T’s.

Nun trat Marc vor und rief laut­stark ins Publikum: „Meine Damen und Herren, wie unser Religionslehrer ange­kün­digt hat, hier die 95 Ts von Martin Luther!“

Keine Frage, wir waren die Helden des Tages und in aller Munde. Nur Herr Bastian war anfangs etwas sau­er auf uns. Aber das war zum Glück nicht von lan­ger Dauer. Auch er schien so etwas wie Humor zu haben.

Sandra schüt­tel­te sich vor Lachen. „So was kann aber auch nur euch ein­fal­len. Habt ihr eigent­lich immer so viel Erfolg mit euren Streichen gehabt?“

Marc schüt­tel­te etwas ver­schämt den Kopf. „Nein, nicht wirk­lich. Einmal ging der Schuss ganz schön nach hin­ten los. Irgendwie dumm gelau­fen. Such dir mal die Geschichte über die aus­ge­fal­le­ne Stunde raus.“

Sandra such­te im Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes die ent­spre­chen­de Seite her­aus und fing an zu lesen.

Die aus­ge­fal­le­ne Stunde, die nicht ausfiel

Im letz­ten Schuljahr hat­ten wir diens­tag­mit­tags immer eine Doppelstunde Sozialkunde. Irgendwie ließ sich die­se Stunde nicht vor­mit­tags unter­brin­gen. Oder der Lehrer konn­te nicht. Er muss­te näm­lich extra aus einer ande­ren Schule kom­men. Wir hat­ten kei­ne Ahnung, war­um das so war.

Jedenfalls war die­se Stunde immer ätzend lang­wei­lig und zog sich wie Kaugummi. Der Dienstag war für uns immer der schlimms­te Tag der Woche.

An die­sem Dienstag woll­ten wir des­halb beson­ders schlau sein. Es war ein schö­ner und sehr war­mer Tag, genau rich­tig, um in eine Eisdiele zu gehen, anstatt uns über die Gesellschaftsordnung des 18. Jahrhunderts voll­sül­zen zu las­sen. Schuleschwänzen kam für uns natür­lich nicht infra­ge. Jedenfalls nicht offiziell.

Wir tra­fen uns eine hal­be Stunde vor Unterrichtsbeginn vor dem Schulgebäude. In Windeseile hat­ten wir einen gro­ßen Zettel mit Klebeband an der Tür befes­tigt und ruck­zuck waren wir auch schon wie­der verschwunden.

Es hät­te alles gut geklappt, wenn uns unse­re Neugier nicht zurück zum Tatort getrie­ben hätte.

Kurz vor Unterrichtsbeginn gin­gen wir gemein­sam zur Schule zurück, um die Wirkung unse­rer Aktion mit­zu­er­le­ben. Und tat­säch­lich, so ziem­lich alle Klassenkameraden kamen uns in Gruppen ent­ge­gen. Freudestrahlend berich­te­ten sie uns, dass der Unterricht wegen Krankheit aus­fal­len würde.

Wenn wir es nur dabei belas­sen hät­ten. Aber unse­re Neugierde war grö­ßer. Schließlich stan­den wir als Einzige unse­rer gan­zen Klasse vor dem Zettel an der Klassenzimmertür. Alle ande­ren Klassenkameraden waren zu die­sem Zeitpunkt längst wie­der auf dem Heimweg.

Der dum­me Zufall woll­te es, dass aus­ge­rech­net in die­sem Moment unser Lehrer auf­tauch­te, den Zettel las, ihn abriss und laut zu schimp­fen begann.

Schließlich beru­hig­te er sich und ver­sprach sich selbst, die Übeltäter hart zu bestra­fen. Ausgerechnet uns lob­te er, weil wir als ein­zi­ge auf ihn gewar­tet hät­ten. Aufklären konn­ten wir die­ses Missverständnis natür­lich nicht. Als Krönung ver­sprach uns unser Lehrer dann, dass er den Unterricht trotz alle­dem nur für uns hal­ten würde.

Aus ver­ständ­li­chen Gründen haben wir unse­ren Klassenkameraden bis zum heu­ti­gen Tag nicht ver­ra­ten, wer hin­ter der Geschichte mit dem omi­nö­sen Zettel steckte.

Sandra schmun­zel­te und woll­te gera­de etwas sagen, da ging die Tür des Clubraums auf und Kevin trat ein.

„Hi, da bin ich. Hat alles super geklappt. Daniel ist mit die­ser Frau Marsanek irgend­wie um hun­dert Ecken ver­wandt. Er sagt Tante zu ihr, auch wenn sie es nicht wirk­lich ist.“

Freudestrahlend wie der Held des Tages grins­te er einen nach dem ande­ren an, bevor er etwas geknickt fort­fuhr: „Daniel weiß lei­der über die Karte Bescheid. Seine Eltern mein­ten aber, dass an der gan­zen Sache nichts dran sei. Das wäre nur so eine alte Geschichte. Wie auch immer, jetzt haben wir erst mal ein gewich­ti­ges Problem. Daniel will bei der Sache mit­ma­chen. Ich habe natür­lich ver­sucht, ihm das aus­zu­re­den. Aber wenn wir ihn nicht mit­ma­chen lasen, will er sei­ne Tante über­re­den, dass sie uns wegschickt.“

„Absolut blö­de Situation“, ärger­te sich Marc. „Der hat mir gera­de noch gefehlt. Nicht mal Elvis kann ihn lei­den, nicht wahr, mein Guter?“

„Wuff“, erwi­der­te Elvis und zog sei­nen Schwanz ein. Er wuss­te anschei­nend genau, was Marc meinte.

„Nun lass mal“, beru­hig­te Kerstin ihren Freund. „Vielleicht kann er uns ja tat­säch­lich hel­fen und nützt uns als Eintrittskarte bei der guten Tante. Aber anru­fen soll­ten wir sie vor­her schon. Hast du dir die Telefonnummer geben lassen?“

„Äh, kla­ro, wie war das noch mal?“, einen Moment lang über­leg­te Kevin stirn­run­zelnd. „Ach ja, ich glaub ich hab’s. Zuerst kommt die 57, dann die Nummer, mit der man auch Kölnisch Wasser bezeich­net. Ja, Daniel hat gesagt, das wäre immer sei­ne Eselsbrücke, wenn er sei­ne Tante anruft.“

„Bin schon unter­wegs“, fiel ihm sei­ne Schwester ins Wort. „Ich gehe schnell hoch ans Telefon und mache mit der Tante einen Termin aus.“

„Sag ihr aber noch nichts von der Karte, sonst lässt sie uns viel­leicht abblit­zen“, bemerk­te Sandra.

Keine drei Minuten spä­ter stand Kerstin wie­der atem­los im Clubraum. „Du hast dich von die­sem Angeber Daniel rein­le­gen las­sen, mein Brüderlein. Ich habe die 57 74 11 mehr­mals gewählt, aber jedes Mal kommt nur ‚Kein Anschluss unter die­ser Nummer’.“

„Keine Panik auf der Titanic. Ich weiß schon, was da schief­ge­lau­fen ist“, ent­geg­ne­te Marc.

Frage: Was hat Kerstin falsch gemacht?

Antwort: .the­ts ressaW hcsinlöK rüf 1174 ad ‚netu­al 11 74 75 hcil­rü­tan ssum remmuN egith­cir eiD .ther­drev remmunnofeleT red nelhaZ eid tah nitsreK