Eine missliche Lage
Autor: Harald Schneider
„Okay Kevin, dank deiner Hilfe wissen wir jetzt, dass es oben auf der Karte irgendwo zum Rathauskeller gehen muss“, sagte Sandra und nickte anerkennend. „Einer dieser Gänge muss derjenige sein, der verschüttet ist. Doch wo der Schatz ist, verrät uns die Karte nicht. Wir können jetzt zwar alle Gänge abgehen und sämtliche Räume untersuchen, wenn der Schatz aber irgendwo vergraben ist, bringt uns dass nicht wirklich weiter.“
Nun schaltete sich ihr erwachsener Begleiter wieder ein: „Ich denke, es wird langsam Zeit, die Karte von Frau Marsanek mit diesem Grundriss zu vergleichen.“
„Ja klar“, fiel ihm Marc ins Wort. „Wir müssen nur die beiden Teile deckungsgleich bekommen, fast wie bei einem Puzzle.“
Kerstin hatte die Kopie bereits ausgepackt und voller Hoffnung auf den Grundriss gelegt. Zehn Augen versuchten, eine Übereinstimmung zu finden. Nach einer Weile drehte Kerstin die Kopie um 45 Grad nach links. „Aus unserer Kopie geht leider nicht hervor, wo oben und unten ist. Es stehen auf alle vier Seiten irgendwelche Buchstabenkürzel.“
Als Kerstin die Kopie zum zweiten Mal um 45 Grad nach links drehte, machte sich langsam Enttäuschung breit.
„Nicht aufgeben, konzentriert euch gefälligst“, spornte Marc seine Freunde an.
Die wilden Vier konnten ihre Kopie drehen, wie sie wollten, sie konnten absolut keine Ähnlichkeit mit dem gefundenen Grundriss ausmachen.
„Das liegt bestimmt daran, dass bei unserer Kopie nur ein Teil der Räume in diesem Bereich eingezeichnet ist und unwichtigere Räume weggelassen wurden. Außerdem stimmen die Maßstäbe nicht überein“, murrte Kevin.
Karl zuckte mit den Schultern. „Dann lasst uns zurückgehen. So hat das alles keinen Sinn. Ich habe mir mehr von der Sache erwartet.“ Enttäuschung klang aus seiner Stimme. Oder war die Enttäuschung nur vorgespiegelt?
Sandra grübelte vor sich hin. Was, wenn der Mann auf dem Plan etwas entdeckt hatte und es nur nicht verraten wollte? Dann würde er später alleine herkommen und sich ohne die wilden Vier auf die Suche begeben.
„Nein, wir suchen weiter“, bestimmte Sandra. „So eine Chance dürfen wir uns nicht entgehen lassen.“
„Und wie willst du vorgehen?“, wollte Kevin wissen. „Am Ende verlaufen wir uns in diesem Labyrinth!“
„Du meinst, in diesem Irrgarten!“, verbesserte sie ihn.
„Es ist mir egal, ob das ein Labyrinth oder ein Irrgarten ist. Wir kommen im Moment nicht weiter, das ist Fakt.“
„Fakt ist, dass wir noch einen Trumpf im Ärmel haben.“ Sandra schaute Kevin zwinkernd an.
„Was für einen Trumpf?“, mischte sich der Fremde wieder ein.
„Schauen Sie mal unsere Kopie genauer an. Hier ist der Raum, der mit einem X gekennzeichnet ist, der Raum daneben sieht vom Grundriss her anders aus als alle anderen.“
„Tatsächlich, du hast Recht, Kleine. Das könnte uns weiterhelfen.“
„Sandra, klärst du uns mal auf?“, forderte Kerstin ungeduldig.
„Sicher, der Raum ist fünfeckig. So was dürfte recht selten sein, oder? Wir müssen nur einen Raum mit fünf Ecken finden und hoffen, dass es nur einen einzigen gibt. Im Nachbarraum dürfte dann das Vermögen liegen.“
Die wilden Vier und ihr Begleiter machten sich auf den Weg. Sandra markierte fleißig und gewissenhaft sämtliche Gänge, die sie benutzten. Schnell merkten sie, dass das Gewölbe doch nicht so groß war, wie es anfangs schien. Immer öfters landeten sie in Räumen, in denen sie bereits gewesen waren.
Anfangs hatten sie noch versucht, sich mit dem Kompass immer in nördlicher Richtung zu halten. Doch das funktionierte nicht, da die Gänge oft völlig unvorhersehbar die Richtung änderten.
„Seid mal still!“, befahl Kerstin plötzlich. Alle blieben stehen und lauschten. Waren da nicht Schritte? Oder war es nur Einbildung?
Karl trieb sie zur Eile an. „Los, lasst uns weiter gehen, das ist nur unser eigenes Echo, das sich durch die Stollen fortpflanzt.“
Irgendwann landeten sie in einem neuen Bereich. Hier gab es keine Gänge, sondern nur ineinander verschachtelte Kellerräume.
„Diese Keller müssen bereits vor dem Krieg zum Bahnhof gehört haben. Ich glaube, wir kommen unserem Ziel näher“, überlegte Marc.
Dennoch mussten sie sich noch eine Weile gedulden und durch zahlreiche Kellerräume kämpfen. Doch auf einmal war es geschafft. Niemand hatte mehr ernsthaft damit gerechnet. Sie standen in einem Raum mit einem fünfeckigen Grundriss.
„Hurra, wir haben es geschafft“, schrie Kevin. „Schatz, wir kommen!“
„Gar nichts haben wir geschafft, höchstens ein Etappenziel“, wies ihn seine Schwester zurecht.
Sandra beleuchtete mit ihrer Taschenlampe die Kopie von Juttas Plan. „Wir müssen eindeutig in diese Richtung.“ Sie zeigte nach rechts.
Die fünf Personen gingen durch einen hölzernen Türrahmen, denn Türen gab es hier unten nicht. Sie betraten einen Raum, der sich in nichts von den anderen Räumen unterschied.
„Hier soll das Vermögen versteckt sein?“, zweifelte Kevin.
„Wenn du geglaubt hast, dass mitten auf dem Boden eine Truhe steht, dann ist das dein Problem“, grinste Sandra. „Du kannst davon ausgehen, dass seit dem letzten Krieg hier unten einige Menschen rumgelaufen sind. Juttas Opa wird sein Vermögen garantiert ein bisschen besser versteckt haben.“
Eine Viertelstunde lang untersuchten die fünf jeden Quadratzentimeter des Raumes. Doch es war alles umsonst. Sie fanden nicht den kleinsten Anhaltspunkt für ein Versteck.
„Es gibt zwei Möglichkeiten“, meinte schließlich ihr Begleiter. „Entweder es gibt noch mehr fünfeckige Räume oder euer Plan ist falsch.“
Die wilden Vier überlegten, was sie tun sollten. Sandra lief auf und ab und leuchtete mit ihrer Lampe nochmals in alle Winkel.
„Zum Teufel, da ist wirklich nichts zu finden. Das Einzige, was kein Mauerwerk ist, ist diese dämliche Türzarge.“
„Türzarge?“ Kerstin hatte einen Gedankenblitz. „Kommt mal her. Leuchtet auf die Zarge.“
Kerstin zog unter der Beleuchtung so fest sie konnte an dem hölzernen Türstock. Nur schwer ließ er sich bewegen. Erst als Karl mit anpackte, löste sich das Holz vom Mauerwerk.
Fünf Augenpaare starrten in eine zehn Zentimeter breite Vertiefung, die bis eben durch den Türrahmen verdeckt worden war. Karl griff hinein und holte einen Blechkanister hervor.
„Ha, ich habe gefunden, was ich wollte. Endlich gehört es mir!“, jubelte er.
„Na, hören Sie mal! Wir haben das Versteck gefunden“, protestierte Sandra mit wütendem Gesicht. „Ohne Kerstins Idee wäre nichts gelaufen.“
„Ach so, ihr seid ja auch noch da.“ Langsam griff er mit seiner rechten Hand in die Stofftasche und holte eine Pistole hervor. „Am besten seid ihr jetzt ganz brav und stellt euch drüben in die Ecke. Wenn ihr nichts Unüberlegtes tut, passiert euch nichts.“ Auffordernd winkte er mit der Waffe und zeigte auf die Ecke.
Die wilden Vier waren überrascht. Damit hatten sie nicht gerechnet. Der offensichtliche Gangster versuchte mit einer Hand die Blechdose zu öffnen, was aber misslang.
„Egal“, murmelte Karl vor sich hin. „Hauptsache, ich habe die Papiere.“
„Welche Papiere?“, fragte ihn Marc frech, auch wenn er nicht mit einer Antwort rechnete.
„Wohl neugierig was? Ihr habt keine Ahnung. Mich interessiert der Schatz von dem Georg einen feuchten Dreck. Ich will etwas ganz anderes.“
„Was anderes? Was soll da noch dabei sein, außer dem Vermögen von Juttas Opa?“
Karl schaute sie kurz an und überlegte.
„Okay, ich will es euch erzählen. Ihr könnt sowieso nichts damit anfangen. Bis ihr das ausplaudern könnt, habe ich längst alles vernichtet.“
Die wilden Vier glaubten, nicht richtig gehört zu haben, doch da begann er bereits mit seiner Erzählung: „Passt auf. Mein Vater ist ein Kollege von Kommissar Greulich. Daher wusste ich von dem Plan, den ihr hattet. Greulich wollte diesen Plan aber nicht meinem Vater geben, weil er in einem anderen Ressort arbeitet. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als Kontakt mit euch aufzunehmen. Denn im Stadtarchiv habe ich auch nichts gefunden.“
„Und warum das Ganze?“, fragte Kerstin. „Sie kennen doch Georg Marsanek überhaupt nicht.“
„Das ist richtig. Ich kenne ihn nicht. Aber mein Opa war ein guter Freund von ihm. Und dieser Georg war im Besitz wichtiger Dokumente, die belegen könnten, dass mein Opa an Verbrechen der damaligen Zeit zumindest Mitschuld hatte. Georg Marsanek schrieb davon in einem seiner letzten Briefe an meinen Opa.“
„Und was wollen Sie mit den alten Geschichten?“, wunderte sich Marc. „Das ist doch längst vergangene Zeit.“
„Nein, ist es nicht“, widersprach Karl barsch. „Ich will die Familienehre wahren. Stellt euch vor, ihr hättet diese Blechdose gefunden und die Dokumente der Presse übergeben. Nein, das kann ich nicht zulassen. Ihr müsst hier unten bleiben, bis ich diese Papiere vernichtet habe.“
Die vier waren baff. Wie sollten sie sich aus dieser Situation retten? Sie waren dem Fremden ausgeliefert. Sandra tuschelte mit Marc hinter dem Rücken der beiden anderen. „Lenk du ihn ab, ich hab eine Idee. Ich habe doch meinen Fotoapparat dabei.“
Marc sah sie erstaunt von der Seite an, tat aber wie geheißen und ging langsam auf Karl zu. „Soll ich Ihnen helfen, die Blechdose zu öffnen?“
Doch Karl stieß ihn zurück. „Bleib weg von mir, oder du kannst was erleben!“
In diesem Moment geschah es. Sandra schaffte es, den Fremden zu überrumpeln. Für einen Sekundenbruchteil zumindest.
Frage: Was machte Sandra?
Antwort: .nnaM ned os etednelb dnu sua starappaotoF serhi ztilB ned etsöl eiS