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Marc übertrifft sich selbst

Autor: Harald Schneider

Marc stand mit seinem Dalmatiner ein Stück von dem Haus entfernt neben einer Scheune. Zufällig sah er, wie sich das Eingangstor öffnete und der Transporter, den er bereits kannte, auf den Hof fuhr. Es blieb ihm keine Zeit mehr, seine Freunde, die sich in dem Haus befanden, zu warnen. Um nicht entdeckt zu werden, sprang er geistesgegenwärtig mit seinem Hund in die Scheune und beobachtete durch einen Türspalt das Geschehen im Freien.

Die Ganoven parkten den Kleinlaster vor dem Haus und stiegen aus.

„Ob das gut geht?“, dachte sich Marc besorgt, doch es sollte noch schlimmer kommen. Die drei Gauner gingen direkt in das Haus, in dem sich Kerstin, Sandra und Kevin befanden.

Marc verließ die Scheune und schlich mit Elvis vorsichtig näher. Er wollte die Fremden belauschen, um auf diese Weise seinen Freunden helfen zu können. Auf Anhieb fand er einen geeigneten Platz unterhalb eines schräg gestellten Fensters. Aus nächster Nähe konnte Marc miterleben, wie seine Freunde gefangen genommen und in den Keller gesperrt wurden. Die anschließende Diskussion der drei Erwachsenen war für ihn sehr aufschlussreich:

„So ein verdammter Mist, ausgerechnet jetzt müssen uns da ein paar neugierige Bengel in die Quere kommen. Zum Glück war heute die letzte Lieferung“, fluchte einer der beiden Männer mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme.

„Leider wird das Zeug erst am Mittwoch abgeholt. Bis dahin müssen wir die Kartons in der Scheune stehen lassen. Sollen wir die Kinder etwa die ganze Zeit im Keller einsperren? Die werden doch spätestens heute Abend überall gesucht. Dann hängt uns die Polizei gleich an den Fersen. Und die können wir jetzt am allerwenigsten gebrauchen!“

„Karl“, forderte die Frau einen der beiden Männer auf, „nimm dein Handy und rufe den Chef an. Er hat uns zwar verboten, ihn anzurufen, aber hier handelt es sich um einen Notfall.“

Der Angesprochene zog sein Handy aus der Tasche und wählte aufgeregt eine ziemlich lange Nummer. Das Gespräch selbst konnte Marc leider nicht verstehen, da sich der Ganove Karl mit seinem Chef in einer ihm unbekannten Sprache unterhielt.

Nach einer Weile endete das Gespräch abrupt. „Verdammt noch mal!“, fluchte Karl nun wieder aufgebracht in deutscher Sprache.

„Jetzt ist auch noch der verdammte Handyakku leer. Das ist mal wieder typisch. Und das Ladegerät habe ich daheim liegen lassen.“

„Sag schon, was hat der Chef gesagt?“, fiel ihm die Frau, die mittlerweile in einem staubigen Bürostuhl saß, sichtlich nervös ins Wort.

„Wir sollen auf jeden Fall warten und das Gelände unter keinen Umständen verlassen. Er ist in etwa zwei Stunden bei uns. Früher kann er nicht kommen, da er vorher etwas Wichtiges zu erledigen hat. Nur die Kartons sollen wir schon mal in die Scheune tragen. Und wegen der Kinder im Keller brauchen wir uns keine Gedanken zu machen, denn da hat er schon eine Idee. Weiter ist er leider nicht gekommen, weil der blöde Akku leer war.“

Anschließend sprachen die Ganoven nur noch über Dinge, die für einen Nichteingeweihten keinen Sinn ergaben.

Marc hatte genug gehört. Er streichelte die ganze Zeit Elvis über den Kopf und hoffte, dass dieser keinen Mucks von sich gab. Der treue Dalmatiner schien zu ahnen, dass da etwas ungeheuer Wichtiges vor sich ging und blieb ruhig. Marc hielt den Hund fest an der Leine und schlich leise über den großen Hof in Richtung Tor. Es war nicht verschlossen, so dass er und sein tierischer Freund ohne Probleme zur Straße kamen.

Tausend Gedanken schwirrten ihm im Kopf herum. Was sollte er jetzt tun? Direkt nach Hause gehen und seinen Eltern alles erzählen oder besser gleich zur Polizei laufen? Marc zweifelte, ob er die richtige Entscheidung treffen und somit seine Freunde retten und den Gaunern das Handwerk legen konnte. Während er angestrengt darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass ihm zwei Stunden blieben, um seine gefangenen Schulkameraden zu befreien. Nur, wie sollte das ohne die Hilfe der Polizei gehen? Nein, die Polizei musste er schon verständigen, alles andere wäre viel zu gefährlich.

Plötzlich schien er eine Lösung gefunden zu haben. So wollte er es machen und nicht anders. Sein Plan musste einfach funktionieren. Marcs Vorhaben war vielleicht noch nicht ganz ausgereift, aber um die Feinheiten konnte er sich später immer noch kümmern.

Er lief mit Elvis im Schlepptau nach Hause. Es dauerte nicht lange, bis die beiden das Mehrfamilienhaus erreichten, in dem Marc wohnte. Seine Eltern waren nicht daheim. Erfreulicherweise liefen ihm auch keine nervenden Nachbarn über den Weg, die sich über seinen Hund aufregen könnten.

Rasch suchte er in seinem Zimmer ein paar Dinge zusammen und verstaute sie sorgfältig in seinem Rucksack. Danach schrieb er einen Brief an seinen Onkel und steckte ihn in eine Plastikhülle. Diese rollte er hastig zu einer Röhre und befestigte sie mit Paketband am Halsband des Dalmatiners.

Zusammen mit seinem vierbeinigen Freund verließ Marc anschließend die Wohnung und blieb auf dem Gehweg vor dem Haus stehen.

„Elvis, hör mir jetzt bitte ganz genau zu!“, befahl er dem Dalmatiner und sah ihm dabei fest in die Augen. „Du musst jetzt ganz schnell mit dem Brief zu Onkel Franz laufen, okay? Hast du das verstanden?“

Elvis schleckte Marcs Hand ab und schaute ihn treu und verständnisvoll an. Es schien, als hätte er jedes Wort verstanden. Der Junge war sich jedoch nicht sicher, ob das Vorhaben mit Elvis gelingen würde. Es musste einfach funktionieren, denn das war die einzige Möglichkeit, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Der Dalmatiner lief ein paar Schritte vor, blieb dann aber unschlüssig stehen und schaute erwartungsvoll zu Marc zurück. Verzweifelt redete dieser noch ein weiteres Mal auf ihn ein, bis er sich endlich in Bewegung setzte und davon trabte.  „Hoffentlich geht das gut“, dachte sich Marc, während er dem Hund nachsah, bis dieser um die nächste Straßenecke bog. Marc hatte keine andere Wahl, als seinem treuen Dalmatiner zu vertrauen.

Jetzt konnte er mit dem zweiten Teil seines Plans beginnen.

Zur Sicherheit kontrollierte er nochmals den Inhalt seines Rucksacks. Dann machte er sich auf den Weg und lief die kurze Strecke zur Schule zurück.

„Hoffentlich komme ich in das Schulgebäude rein“, überlegte er und schaute auf seine Uhr. Er wusste, dass samstags die Volkshochschule Weiterbildungskurse für Erwachsene anbot. Deshalb würde um diese Zeit noch alles offen sein.

Und so war es auch. Ohne Schwierigkeiten gelangte er in das Hauptgebäude des Schulzentrums. Niemand begegnete ihm. „Die Kurse sind bestimmt noch in vollem Gange und die Leute sitzen in den Klassenzimmern“, dachte sich Marc.

Er zögerte nicht lange und verschwand in Richtung Kellertreppe. Jeden Moment konnte ein Erwachsener auftauchen und blöde Fragen stellen. Im Kellergeschoss war alles dunkel, anscheinend fanden hier zurzeit keine Kurse statt. Somit war die Gefahr, dass Marc doch noch entdeckt wurde, nicht besonders groß.

Er setzte seinen Rucksack ab, kramte darin herum und zog stolz seine riesengroße Taschenlampe heraus, die er zu seinem letzten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Zielsicher ging Marc mit der eingeschalteten Lampe den Flur entlang. Dabei kam er am Werkraum und am Fotolabor vorbei. Vor der Tür mit der Aufschrift

‚Betriebsraum. Betreten für Unbefugte streng verboten‘

hielt er an. Marc war gerade dabei, seine Dietriche auszupacken, da drückte er spaßeshalber mit der linken Hand auf die Türklinke und bemerkte überrascht, dass gar nicht abgeschlossen war.

„Da hat unser Hausmeister wohl wieder gepennt. Und ich mal wieder Glück gehabt“, murmelte Marc grinsend vor sich hin. Erleichtert huschte er flink in den Raum und zog die Türe rasch hinter sich zu. Gleichzeitig schaltete er das Deckenlicht an.

Marc befand sich in einem kleinen fensterlosen Raum, in dem die Stromverteilung des mehrstöckigen Schulhauses untergebracht war. Auf der rechten Wandseite standen zwei raumhohe Metallschränke, in deren Türen unzählige Schalter und andere elektrische Teile befestigt waren. Dazwischen leuchteten Lämpchen in den verschiedensten Farben.

Marc las einige der Beschriftungen, die unter jeder Sicherung, jedem Schalter und jeder Leuchte angebracht waren. Darauf stand unter anderem ‚Raum 1 – 3.OG, Raum 2 – 3.OG‘. Weiter unten fand er ein paar Klebeetiketten mit den Aufschriften ‚Lehrerzimmer‘, ,Computerraum‘, ,Aula‘ und vieles mehr.

„Gut zu wissen“, dachte Marc und grinste verschmitzt vor sich hin. „Das kann man bestimmt mal für einen tollen Streich gebrauchen. Einen Computerraum ohne Strom, das wäre echt nicht schlecht. Sicher lässt sich da mal was draus machen … “

Der Rest des Raumes war ziemlich unübersichtlich. An den Wänden und an der Decke waren Dutzende von unterschiedlichsten Kabeln befestigt. Sie verschwanden entweder in den Mauern der Nachbarräume oder in der Decke. Am hinteren Ende des Raumes stieß Marc auf ein paar Wasserrohre, die waagerecht an der Außenmauer entlangliefen. Diese Leitungen interessierten ihn ganz besonders. An einer Stelle verzweigten sich die Rohre und verschwanden teilweise in der Wand.

Direkt daneben befanden sich einige dickere Elektrokabel, die ebenfalls in der Wand mündeten. Oberhalb dieser Stelle entdeckte Marc eine kleine Eisenluke. Sie befand sich direkt unterhalb der Raumdecke und konnte mit einem kleinen Riegel geöffnet werden. Leider war der Riegel sehr weit oben. Marc konnte nur mühsam auf Zehenspitzen an die Luke fassen.

Voller Tatendrang setzte er seinen Rucksack ab und holte den Leitungsplan heraus, den die wilden Vier in dem verlassenen Haus gefunden hatten.

Er breitete die Karte vor sich auf dem Boden aus und orientierte sich anhand des Richtungsweisers auf der Zeichnung. Dass diese Markierung bei solchen Plänen immer nach Norden zeigt, wusste er schon lange und so konnte er sich schnell zurechtfinden. Zunächst suchte Marc seinen Standort und fand ihn auch recht schnell.

Nun konnte er seine geniale Idee in die Tat umsetzen. Er wollte durch den Kriechkeller krabbeln, um auf diese Weise zu seinen Freunden zu gelangen, damit er sie befreien konnte. Marc prägte sich die auf der Zeichnung als bunte Striche dargestellten Wasserrohre und Stromleitungen genau ein.

Nach einer Weile faltete er den großen Plan wieder zusammen und verstaute ihn in seinem Rucksack. Marc stand auf und erblickte einen alten Stuhl, der verlassen in der Ecke des Betriebsraumes stand. Er schnappte sich das abgenutzte Möbelstück und stellte es unter die Einstiegsluke.

Entschlossen stieg Marc auf die Sitzfläche des Stuhls und konnte so den Metallriegel der Luke öffnen, die dabei fürchterlich quietschte. Ihm wurde etwas mulmig, denn aus dem Schacht kam ihm modriger und fauler Gestank entgegen. Außerdem war es dort drinnen stockfinster. Unsicher leuchtete er mit seiner Taschenlampe in das dunkle Loch hinein. Marc erschauderte. So niedrig, eng und ungemütlich hatte er sich einen Kriechkeller nicht vorgestellt. Doch es half alles nichts. Mit Einsatz seiner ganzen Körperkraft gelang es ihm, sich an der Einstiegsluke hochzuziehen und in den nur ein Meter hohen Keller zu gelangen.

Als Marc es geschafft hatte, blieb er ein paar Sekunden flach auf dem Boden liegen und leuchtete die Umgebung ab, um sich zu orientieren. Überall an der Decke und den Wänden waren die unterschiedlichsten Rohre und Kabel zu sehen. Es war alles recht verwirrend. Alle vier bis fünf Meter befanden sich breite Säulen, die die Betondecke trugen. Da die Stützen sich nicht in einer Reihe befanden, sondern kreuz und quer standen, konnte man nicht sehr weit nach vorne schauen.

„So sieht unser Schulhof also von unten aus“, dachte Marc. „Pfui Teufel, der Boden ist ja klatschnass. Da steht ja überall altes stinkendes Regenwasser!“

Trotz der übelriechenden Brühe musste er durch die zahlreichen Wasserlachen robben, um an sein Ziel zu gelangen. Entschlossen kroch er durch das gespenstisch wirkende Labyrinth. Wegen der vielen Deckenstützen musste er ständig seitlich ausweichen und kam nur langsam und mühsam voran. Als Marc sich kurz umdrehte und nach hinten leuchtete, war die Einstiegsluke nicht mehr zu sehen, obwohl er erst wenige Meter zurückgelegt hatte.

Plötzlich berührte ihn etwas am Arm und er zuckte zusammen, da er nicht sehen konnte, was es war. Als er die dicke Spinne sah, die sich gerade abseilte und verschwand, atmete er erleichtert auf. Bekanntlich war Marc ein großer Tierfreund und so eine harmlose Spinne konnte ihm nichts anhaben.

Leider wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, auf welch gefährliches Abenteuer er sich da eingelassen hatte. Nachdem er eine Weile unter dem Schulhof umhergeirrt war, wurde ihm bewusst, dass er sich in dem dunklen, stickigen Kellerlabyrinth hoffnungslos verirrt hatte.

Marc bekam vor Angst eine Gänsehaut. Doch nach ein paar Schrecksekunden hatte er sich wieder im Griff. Schließlich war er für solch eine Situation bestens ausgerüstet.

Marc suchte sich ein trockenes Fleckchen auf dem Boden, setzte seinen Rucksack ab, öffnete ihn und holte den Lageplan heraus. Er faltete das Papier auseinander und suchte anhand der Skizze seinen ungefähren Standpunkt. Da sich auf der Karte ein Maßstab befand, konnte er die Entfernung bis zu dem Haus, in dem seine Freunde gefangen waren, gut abschätzen. Nur die Richtung war ihm unbekannt. Trotzdem war er zufrieden und packte den Plan wieder ein.

Marc leuchtete mit seiner Taschenlampe in den Rucksack, um einen bestimmten, sehr kleinen Gegenstand ausfindig zu machen. Er war sehr froh, dass er eine so gute Ausrüstung besaß.

Frage: Was holte Marc aus seinem Rucksack? Wie konnte dieser Gegenstand ihm helfen, den richtigen Weg zu finden?

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