Cover Die wilden Vier - Band 3

Wer lügt?

Autor: Harald Schneider

Auf der Rückfahrt ins Polizeipräsidium erzählte Kommissar Greulich, dass er den Fall wahrscheinlich zu den Akten legen wird. Auf der einen Seite ermittelte das Hauptzollamt, auf der anderen Seite handelte es sich nur um einen gewöhnlichen Diebstahl. So etwas klärte sich mit viel Glück irgendwann per Zufall auf, wenn zum Beispiel die Papageien weiterverkauft wurden.

Am Präsidium angekommen, verabschiedete Greulich die Jugendlichen. »Jetzt wisst ihr, was Polizeiarbeit bedeutet. Man lernt allerhand skurrile Personen kennen, aber im Grunde ist es immer das gleiche. Tut mir leid, dass dies kein Fall für euch ist. Normale Diebstähle kommen täglich vor. Bis zu zehn Fahrräder werden jeden Tag im Rhein-Neckar-Raum gestohlen. Nur ein Bruchteil davon taucht wieder auf.«

»Ja, wir waren erst kürzlich bei einer Fahrradversteigerung«, meinte Kevin todernst.

Der Kommissar sah ihn erstaunt an, bis ihm der Groschen fiel. »Ach so, ja, im Keller des Rathauscenters. Euer letzter Fall. Na ja, dann macht es mal gut. Wie wäre es zur Abwechslung mit ein paar Schulstreichen, damit ich wieder was zu lachen habe?«

»Wir werden uns die größte Mühe geben«, verabschiedete sich nun auch Kevin. Lachend und winkend trennten sie sich.

Mit einem Blick auf ihre Armbanduhr meinte Sandra: »Es ist noch ziemlich früh, wir könnten im Clubraum noch die Sachlage besprechen.«

»Mir dampft der Schädel«, meinte Marc. »Das ist alles so kompliziert.«

»Das ist es ja eben«, bekräftigte Kerstin. »Ich glaube, wir sind hinter einem richtig großen Ding her. Der Diebstahl ist nur ein kleiner Teil davon. Hier geht es um viel mehr.«

Eine halbe Stunde später hatten es sich die wilden Vier in ihrem Raum gemütlich gemacht. Elvis lag wie immer auf seiner Lieblingsdecke vor der Couch und ließ sich kraulen.

»Halten wir also fest«, legte Sandra los. »Wir haben ein paar Papageien, die mit falschen Papieren am Frankfurter Flughafen ankommen und für Mannheim bestimmt sind. Dann haben wir einen Papageienzüchter, der nicht weiß, dass Kakadus in Australien leben. Schließlich einen Parkverwalter, der es eigentlich nicht mehr nötig hat, arbeiten zu gehen. Und dann noch die verschwundenen Papageien.«

»Ich glaube, wenn wir die Papageien gefunden haben, haben wir auch des Rätsels Lösung«, meinte Kevin.

Marc schüttelte energisch den Kopf. »Die Papageien spielen in dieser Geschichte vielleicht gar nicht die Hauptrolle. Wichtiger könnten die Ringe und die Papiere sein, die verschwunden sind.«

»Wer könnte uns nur weiterhelfen?«, überlegte Kerstin. »Protzig hat die Papiere nie gesehen, und ob er die Ringe begutachtet hat, wissen wir nicht. Coleman hat die Papiere angeblich verlegt. Das können wir glauben oder nicht. Wir können ja schlecht bei ihm einbrechen.«

»Irgendwie müssen wir aber an weitere Informationen gelangen«, meinte Sandra. »Von unserem Kommissar haben wir im Moment nichts zu erwarten, der will den Fall zu den Akten legen. Wir könnten Protzig aufsuchen und ihn nach den Ringen fragen. Wenn der dann aber Greulich davon erzählt, ist das ziemlich blöd. Bei Coleman können wir vorbeifahren. Denn der hat uns ja eingeladen, um alles zu fotografieren.«

Marc winkte ab. »Denkst du, der lässt die Papiere einfach so rumliegen? Die hat er bestimmt längst versteckt oder verbrannt.«

»Hm, so kommen wir auf keinen Fall weiter. Das sind zwar alles Dinge, die wir tun sollten, ob uns das aber entscheidend weiterhilft, mag ich bezweifeln.« Kerstin verzog ärgerlich das Gesicht und schwieg.

Nach einiger Zeit machte Marc einen vernünftigen Vorschlag. »Lassen wir diesen Fall erst mal bis morgen ruhen und schlafen eine Nacht drüber. Vielleicht fällt uns bis morgen Mittag etwas ein.«

Daher trennten sich die wilden Vier bis zum nächsten Morgen.

Zu Schulbeginn erwartete sie die erste Überraschung. Eigentlich war es keine Überraschung, doch alle vier hatten die Mathearbeit in der ersten Stunde vergessen. Das war ein schwerer Schlag, vor allem für Kevin. Die Gleichungen, die zu lösen waren, tanzten ihm vor den Augen. Unlösbar, dachte er. Doch auf einmal erinnerte er sich daran, dass man in der linken Hälfte der Gleichung immer die gleiche Rechenoperation wie in der rechten Hälfte der Gleichung durchführen muss. Kurzentschlossen setze er beide Seiten der Gleichung in Klammern und multiplizierte sie mit Null. So stand dann als Lösung 0 = 0 auf seinem Blatt. Vom logischen Standpunkt sicher richtig, doch ob sein Lehrer mit dieser genialen Lösung einverstanden sein würde?

In der großen Pause trafen sich die vier Freunde an der abseits gelegenen Sitzbank am hinteren Ende des Schulhofes.

Kevin wollte gerade von seiner Heldentat bei der Mathearbeit berichten, da fiel ihm Marc ins Wort: »Ich weiß, was wir nach der Schule machen. Wir fahren mit der Straßenbahn nach Mannheim. Die Linie 6 fährt direkt dorthin, dann brauchen wir nicht umzusteigen.«

»Ja, Marc, wir wissen, dass Mannheim am anderen Rheinufer gegenüber von Ludwigshafen liegt«, meinte Kerstin lakonisch. »Was sollen wir in Mannheim?«

»Versteht ihr denn nicht? In Mannheim ist eine Niederlassung des Hauptzollamtes. Dort können wir mehr über die Herkunft der Papageien erfahren.«

»Und du denkst, die erzählen uns einfach alles, wenn da ein paar Teenager auftauchen?«, maulte Kevin.

»Nun ja, irgendeine Story müssen wir uns schon einfallen lassen. Ein Versuch ist es doch wert, oder?«

Sandra nickte eifrig. »Und ich weiß auch schon wie. Wir spielen wieder Reporter für die Schülerzeitung. Damit kommen wir durch!«

Entgegen der ursprünglichen Absicht fuhren die wilden Vier nicht mit der Linie 6 bis nach Mannheim, sondern stiegen in Ludwigshafen an der Haltestelle Berliner Platz in die Linie 3, die ebenfalls nach Mannheim fuhr. Kerstin hatte auf dem Stadtplan nachgeschaut und herausgefunden, dass sich das Hauptzollamt direkt neben dem Hauptbahnhof befand. Dort hielt aber nur die Linie 3.

Marc hatte seinen schwarzweiß gefleckten Freund sicherheitshalber bei seinem Onkel Franz gelassen.

»Wenn dort der Eintritt für Hunde verboten ist, müsste ich mit Elvis draußen warten«, erklärte er.

Das Zollamt befand sich in einem älteren Nebengebäude des gerade frisch renovierten Hauptbahnhofes. Ein Schild mit dem Bundesadler besagte, dass dies der Sitz der Behörde war.

Die wilden Vier gingen in das Gebäude und waren von der Größe überrascht. Nach drei Seiten gingen lange Gänge ab und rechts vor ihnen war eine breite Treppe, die nach oben führte. Menschen liefen an ihnen vorbei, ohne sich um die vier zu kümmern. Einen Empfang schien es in diesem Amt nicht zu geben.

»Entschuldigen Sie«, sprach Kerstin eine Frau an, in der Hoffnung, dass sie hier arbeitete. »Können Sie uns sagen, wo wir Informationen über Papageien bekommen können?«

Die Frau musste nicht lange überlegen. »Importabteilung bedrohte Tiere, da müsst ihr diesen Gang nach rechts, in Zimmer 43. Dort sitzt ein Herr Herrmann.«

Kerstin bedankte sich bei der Frau und die Jugendlichen machten sich auf den Weg.

Vor Zimmer 43 blieben sie stehen. Die Tür stand offen.

Unentschlossen standen sie da, als sie von innen eine Stimme vernahmen: »Kann ich euch irgendwie helfen?«

Rasch trat Kevin vor. »Sind Sie Herr Herrmann?«

»Der bin ich. Kommt nur rein, wo drückt der Schuh?«

»Guten Tag, wir kommen von der Schülerzeitung des Schulzentrums Mundenheim«, übernahm Kevin das Wort. »Wir schreiben eine Reportage über die Papageien des Ebert-Parks. Während wir mitten in unserer Arbeit waren, wurden sie gestohlen. Deshalb sind wir hier.«

Herr Herrmann schaute verdutzt. »Ich glaube nicht, dass ihr bei mir an der richtigen Stelle seid. Für solche Delikte ist die Polizei zuständig.«

»Mein Bruder hat sich nicht richtig ausgedrückt«, verbesserte Kerstin. »Es geht nicht um den Diebstahl, sondern um die Geschichte drum herum. Über den Diebstahl weiß die Polizei natürlich längst Bescheid und hat schon mit ihren Ermittlungen begonnen.«

»Ach, so ist das. Nun bin ich aber gespannt. Jetzt setzt euch zuerst mal und erzählt von Anfang an, um was es eigentlich geht.« Herr Herrmann deutete auf eine kleine Sitzgruppe vor seinem Schreibtisch.

»Der Ebert-Park hat Aras geschenkt bekommen. Von einem Freddie Coleman aus Ludwigshafen-Maudach«, erklärte Kevin.

Ihr Zuhörer horchte auf, diesen Namen schien er zu kennen.

»Dieser Coleman hat uns erzählt, dass er die Aras von ihnen bekam, da sie beschlagnahmt wurden«, fuhr nun Sandra fort. »Wir wüssten gerne für unsere Reportage, wo die Papageien herkamen.«

»Diesen Coleman kenne ich«, antwortete Herr Herrmann. »Ab und zu bekommt der von uns Vögel, wenn wir sie beschlagnahmen und nicht an einen Zoo vermitteln können. Ich kann mich an die Geschichte erinnern, ist ja erst ein paar Tage her. Einen Moment, ich schaue nach, die Akten habe ich in meinem Büro liegen.« Herr Herrmann stand auf und ging zu einem alten Aktenschrank. Er las die Archivnummern auf den farbigen Aktendeckeln und zog schließlich ein Paket Papiere heraus.

»Hier haben wir es ja. Letzten Mittwoch kam die Kiste mit dem Flug aus Rio de Janeiro in Frankfurt/Main an. Zieladresse Mannheim, hauptpostlagernd. Das ist bei Tiersendungen in Deutschland nicht zulässig. Deshalb wurde das Paket an uns geschickt. Wir fanden die drei Papageien und entdeckten, dass die Papiere gefälscht waren. Auch der auf den Ringen befindliche Zahlencode ergab keinen Sinn. Auf keinen Fall handelte es sich bei der Zahlenreihe um den Geburtszeitpunkt der Vögel. Auch die codierte Zuchtstation gibt es nicht. Da die Sendung postlagernd war, konnten wir keinen Empfänger ausfindig machen. Deshalb haben wir die Aras an die Zuchtstation von Herrn Coleman in Ludwigshafen weitergegeben.«

»Haben Sie Herrn Coleman auch die Begleitpapiere mitgegeben?«, wollte Marc wissen und schaute Herrn Herrmann dabei fest in die Augen.

»Nein, es gab ja keine legalen Papiere, nur die Fälschungen. Aber er hat von uns eine Bestätigung bekommen, dass er die Tiere rechtmäßig von uns erhalten hat.«

»Kommt so etwas öfters vor?«, hakte Sandra nach.

»Dass Tiere geschmuggelt werden, kommt häufig vor«, bestätigte Herr Herrmann. »Dann gibt es keine Papiere. Hier ist der Fall ziemlich rätselhaft. Papiere waren ja vorhanden, aber keine richtigen. Es waren laienhafte Fälschungen, ein Kenner hätte wenigstens sinnvolle Zahlencodes für die Ringe genommen. Das Ganze ist zwar ziemlich mysteriös, aber wir können leider nichts weiter unternehmen, denn die Aras kamen aus Brasilien und in Südamerika können wir leider nicht nachforschen.«

»Haben Sie die Nummern auf den Beringungen notiert? Vielleicht könnte man daraus irgendwelche Schlüsse ziehen?«, fragte Sandra hoffnungsvoll nach.

»Da muss ich dich enttäuschen. Nachdem feststand, dass diese Nummern keinen Sinn ergaben, hat man sich nicht weiter damit befasst.«

»Seltsam, dass die Vögel kurz darauf gestohlen wurden«, überlegte Marc. »Ohne legale Papiere sind die bestimmt unverkäuflich.«

Herr Herrmann nickte. »Im Prinzip schon, mein Junge. Leider gibt es einen großen Schwarzmarkt, dort werden solche Vögel auch ohne Beringung angeboten. Ich denke, eure Aras werdet ihr nicht mehr wiedersehen. Vielleicht solltet ihr für eure Schülerzeitung eine Reportage über ein anderes Thema schreiben.«

»Ich glaube, Sie haben Recht, Herr Herrmann«, stimmte Kerstin rasch zu. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, wenigstens wissen wir jetzt, wo diese Vögel herkamen.«

»Keine Ursache, ich habe gern geholfen. Auf Wiedersehen.«

Die Jugendlichen gaben Herrn Herrmann die Hand, verließen sein Büro und liefen den Flur entlang in Richtung Gebäudeausgang.

Vor dem Hauptbahnhof setzten sie sich auf eine Bank und unterhielten sich über das gerade Erlebte.

»Na, das war jetzt schon wieder eine Sackgasse. Legale Registrierungspapiere hat es nie gegeben, da hat Coleman auch gelogen.«

»Das ist aber noch nicht alles«, fiel Kevin seiner Schwester ins Wort. »Coleman hat noch bei etwas viel Wichtigerem gelogen. Er hat uns etwas verheimlicht. Ich denke, wir sollten schnellstmöglich zu ihm fahren. Selbstverständlich als Fotografen getarnt.«

Frage: Wo hatte Coleman gelogen? Was hat er verheimlicht?

Antwort: .ettah nebegegretiew kraP-trebE ned na iewz run re ad ,nebah iegapaP nenie hcon osla ssum nameloC .neiegapaP ierd nov hcarps nnamrreH rreH