Cover Die wilden Vier - Band 3

Unterwegs mit Kommissar Greulich

Autor: Harald Schneider

»Sonnenklar, das muss ein Ehering sein. Wenn der einem der Diebe gehört, wissen wir zumindest, wann er geheiratet hat. Ob uns das weiterhilft, ist fraglich.«

»Im Moment nicht. Aber wer weiß, wozu wir die Information einmal gebrauchen können.«

»Noch was«, ergänzte Kerstin. »Ich habe im Internet recherchiert. Die Registrierungsnummer bei Papageien gibt nicht nur über den Tag der Geburt, sondern auch über das Herkunftsland und den Züchter Auskunft. Mit dieser Nummer kann man den kompletten Stammbaum der Vögel nachvollziehen.«

Bei dem Wort ›Baum‹ wurde Elvis hellhörig und winselte unter dem Tisch.

»Gleich gehen wir, Elvis. Wie kann man nur so verrückt nach Bäumen sein?« Marc schüttelte nachsichtig den Kopf.

Die wilden Vier machten sich auf den Weg zum Polizeipräsidium.

»Aber kein Sterbenswörtchen zu Greulich über den Ring und den Gipsabdruck, in Ordnung? Diese Dinge wollen wir zunächst für uns behalten«, beschwor Sandra ihre Kameraden auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle.

Heute kamen die Vier und ihr Dalmatiner ohne Probleme bis zu Kommissar Greulichs Bürotür. Kerstins Fingerknöchel hatten kaum die Tür berührt, als die bekannte schnarrende Stimme von Kommissar Greulich »Herrrrein« rief.

Schwungvoll öffneten sie die Tür und stutzen. Der Kommissar war nicht alleine. Ein Mitvierziger in einem teuren Anzug saß ihm am Schreibtisch gegenüber. An seinem linken Handgelenk trug er eine goldene und wahrscheinlich sehr wertvolle Uhr. Eine dicke Goldkette, sichtbar um den Hals geschlungen, vervollständigte das Bild eines Menschen, der mit seinem Reichtum protzte.

»Hallo, da seid ihr ja!« Greulich stand auf und begrüßte die Jugendlichen. Selbst Elvis bekam ein paar Streicheleinheiten.

Dann zeigte der Kommissar auf die zweite erwachsene Person im Raum. »Darf ich euch vorstellen? Das ist Herr Protzig. Er ist bei der Stadtverwaltung angestellt und ist für die Tiere im Ebert-Park zuständig.«

Herr Protzig machte sich nicht die Mühe aufzustehen.

»Guten Tag, freut mich, euch kennen zu lernen. Der Herr Kommissar hat mir schon von euch erzählt.«

Während es sich die Jugendlichen an dem Besprechungstisch bequem machten, begann Greulich zu erzählen: »Ich war gestern mit Herrn Protzig am Tatort. Wir haben uns ein Bild von dem Diebstahl gemacht.«

Keiner der wilden Vier sagte ihm, dass sie das bereits wussten.

»Es scheint sich allerdings um einen gewöhnlichen Diebstahl zu handeln. Herr Protzig sagte mir, dass Papageien gerne gestohlen und gehandelt werden.«

»Ja«, bestätigte Herr Protzig. »Durch die strengen Zuchtbestimmungen ist die Nachfrage wesentlich höher als das Angebot, das treibt den Preis in die Höhe. Ich möchte aber nochmals wiederholen, Herr Kommissar, dass es noch nie einen Diebstahl in meinem Park gegeben hat. Es ist mir unerklärlich, wie das passieren konnte.«

»Ich kann Ihnen nur zustimmen, Herr Protzig. Leider musste ich Sie heute herbitten, damit Sie das Protokoll und die Diebstahlanzeige unterschreiben können.«

Er legte ihm ein paar Blätter Papier und einen Kugelschreiber hin. Dabei musterte Greulich seinen Besucher eingehend. »Arbeiten Sie schon lange für die Stadtverwaltung?«

»Ich habe vor 15 Jahren bei der Stadt gelernt. Inzwischen arbeite ich nur noch halbtags und kümmere mich ausschließlich um die Tiere des Parks. Finanziell bin ich unabhängig, betrachten Sie meinen Job als bezahltes Hobby.«

Marc mischte sich in das Gespräch ein: »Herr Protzig, wir haben gehört, dass die beiden Aras erst kürzlich bei Ihnen aufgenommen wurden. Können Sie uns sagen, von wem Sie die Tiere bekamen?«

Bevor er antworten konnte, fiel ihm Kommissar Greulich ins Wort und drohte im Spaß mit dem Zeigefinger. »Soso, ihr habt gehört, dass die Tiere neu in den Park gekommen sind. Ich glaube, wir sollten uns auch noch ausführlich unterhalten!«

Herr Protzig war über den lockeren Umgangston des Polizisten mit den Jugendlichen erstaunt. »Ja, das ist richtig. Aber was tut das zur Sache? Die zwei Vögel habe ich von Freddie Coleman bekommen. Er wohnt im Stadtteil Maudach, ist Amerikaner und Papageienzüchter. Zwei oder dreimal hat er bisher für den Ebert-Park Papageien gestiftet. Meist dann, wenn er keinen Platz mehr hatte. Ich kann aber nicht sagen, wo er sie herhat. Die Begleitpapiere zu den Registrierungen hat er mir noch nicht zugeschickt.«

»Aha«, Greulich nickte. »Damit wäre das geklärt. Können Sie mir zur Sicherheit die Anschrift von diesem Coleman aufschreiben? Dann kann ich das zu der Akte legen. Wie ich Ihnen gestern gesagt habe, dürfte keine große Hoffnung bestehen, die Papageien zu finden. Die Aufklärungsquote bei einfachen Diebstählen ist leider nicht sehr hoch.«

»Ich weiß, ich weiß«, antwortete Protzig. »Da kann man nichts machen. Vielleicht hat Coleman mal wieder Ersatz für den Park.« Damit stand er auf, um sich zu verabschieden.

»Boah«, sagte Kevin, als der Mann gegangen war. »Der Name dieses Herrn ist wirklich Programm. Wie kann man seinen Reichtum so raushängen lassen! Richtig unsympathisch so was.«

Greulich hatte nicht zugehört. Er hatte sein Telefon abgenommen und wählte eine Nummer. Die wilden Vier wurden Zeuge, wie er mit Herrn Coleman telefonierte und sich erkundigte, ob er vorbeikommen dürfe. Er fragte auch, ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn er ein paar Jugendliche mitbringen würde. Diese wollen für ihre Schülerzeitung eine Reportage über die Polizeiarbeit schreiben.

Als der Kommissar aufgelegt hatte, schmunzelte er. »So eine kleine Notlüge darf schon mal sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr euch die Vogelzucht des Herrn Coleman auch anschauen wollt, oder?«

»Danke, das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen«, strahlte Kevin. »Heißt das, Sie ermitteln in dem Fall weiter?«

»Aber auf jeden Fall, mein Freund. Irgendwas stimmt mit diesem Protzig nicht. Warum sollte er bei der Stadt arbeiten, wenn er finanziell unabhängig ist? Das Hobby als Halbtagsjob nehme ich ihm nicht ab. Und dass es ihm egal zu sein scheint, ob die Vögel wieder auftauchen oder nicht, macht mich ebenfalls stutzig.«

»Irgendwas Geheimnisvolles verbirgt sich sicherlich hinter der Herkunft der Aras«, verplapperte sich Marc.

»Wie kommst du auf so etwas?«, wollte Greulich darauf wissen.

»Äh, ja, ist nur so ein Gefühl.« Zum Glück merkte Greulich nicht, wie Marc rot anlief.

»Na dann kommt mal mit, ihr Reporter. Wir nehmen den Transporter, da passen alle rein. Elvis werden wir allerdings im Auto lassen müssen. Nicht, dass uns dort eine Unannehmlichkeit passiert.«

Da der Transporter ein Navigationssystem hatte, fanden sie das Haus von Freddie Coleman auf Anhieb. Es war ein größeres Anwesen, das mit seinen zahlreichen Nebengebäuden direkt neben dem Maudacher Bruch, einem natürlich belassenen Altrheinarm, gebaut war. Hier war vor zweihundert Jahren der Rhein in seinen zahllosen Schleifen entlanggeströmt, bevor der Lauf des Flusses begradigt und dadurch die meisten Sumpfgebiete trockengelegt worden waren.

Schon beim Aussteigen hörte man unverkennbar, dass es hier eine größere Ansammlung nichtheimischer Vögel gab.

»Du musst leider draußen bleiben«, sagte Marc traurig zu seinem Dalmatiner, während er sich mit einem der Notizblöcke und Kugelschreiber bewaffnete, die der Kommissar ihnen gab.

Das hölzerne Hoftor stand offen. Im Hof parkten ein großer Amischlitten mit mindestens 300 PS, eine chromglänzende Harley-Davidson sowie ein geschlossener Kastenwagen.

In diesem Moment kam eine kleine zierliche Frau um die Ecke, erschrak, als sie die Besucher sah und verschwand sofort in einer der Scheunen, ohne sich nochmals umzudrehen.

Das Vogelgekreische war eine heftige Geräuschkulisse, an die man sich erst gewöhnen musste. Greulich ging in Richtung Hauptgebäude. Plötzlich blieb er stehen. Er hörte zwei Männer streiten, die sich anscheinend direkt hinter der Hausecke befanden. Nun konnten die Jugendlichen es auch hören. Der Streit wurde in Englisch mit unverkennbar amerikanischem Akzent geführt. Leider war nicht zu verstehen, um was es ging. Kurze Zeit später war schlagartig Ruhe. Ein Mann erschien und lief an ihnen vorbei, ohne sie zu grüßen oder überhaupt wahrzunehmen. Er stieg auf das Motorrad, ließ es an und fuhr röhrend vom Hof.

Während sie dem Motorradfahrer nachschauten, ertönte von hinten eine Stimme:

»Hi, wen haben wir denn hier? Sie müssen der Kommissar sein, der mich vorhin anrief. Und ihr seid die Kids, die für ihre Schule schreiben, oder?«

Greulich stellte sich und die wilden Vier vor.

»Na, das ist ja fantastisch. Kommen Sie und sehen Sie sich meine Vögel aus aller Herren Länder an.«

Mit mächtigen Schritten ging Herr Coleman voran zwischen den Scheunen hindurch. Hier wurden die Geräusche noch lauter. Dutzende Volieren wurden sichtbar. Überall wimmelte es von bunten Vögeln.

»Da staunt ihr, was?«, wandte sich Herr Coleman an die vier Jugendlichen. »Das ist mein Reich. Hier züchte ich, kaufe und verkaufe alle Vögel, die Geld in die Kasse bringen, hahaha.«

Kommissar Greulich versuchte vergebens, zu Wort zu kommen. Doch der Amerikaner nutzte die Chance, seinen Privatzoo vorzuführen. »Auf der linken Seite seht ihr die Amazonen, natürlich amerikanische Vögel. Davon gibt es 27 Arten, und ich habe schon fast alle gehabt. Daneben findet ihr die Kakadus, die habe ich immer im Angebot, die sind aus Südamerika. Und hier, ein Käfig weiter, das sind Graupapageien aus Afrika. Ach, welch eine Pracht, diese schönen Tiere hier um mich zu haben.«

Die Jugendlichen kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hier waren mehr Papageien auf einem Haufen, als sie je in einem Zoo gesehen hatten.

Greulich nutzte die kurze Verschnaufpause, um Coleman nach den Aras zu befragen. »Herr Coleman, ich habe Ihnen am Telefon gesagt, warum ich hier bin. Ihre Adresse habe ich von Herrn Protzig bekommen. Können Sie mir etwas über die beiden Aras sagen, die sie dem Park gestiftet haben?«

»Die Aras?« Coleman überlegte. »Stimmt, es waren zwei Stück, die ich Protzig für den Ebert-Park gab. Ab und zu kommt es vor, dass ich ein paar Tiere für den Park stifte. Meistens dann, wenn dort eine Voliere länger leer steht. Sie haben gesagt, dass die Tiere gestohlen wurden?«

»Ja, vorletzte Nacht. Aus diesem Grunde interessiere ich mich für die Herkunft der Tiere. Haben Sie die selbst gezüchtet?«

»Die beiden Aras selbst gezüchtet? Nein, nein, Aras kaufe ich immer frisch aus Südamerika. Nur diese beiden nicht. Die habe ich geschenkt bekommen.«

»Geschenkt bekommen? Wer verschenkt denn wertvolle Aras?«

»Jemand, der nichts damit anfangen konnte. Ich bekam die Vögel vom Hauptzollamt Mannheim. Die Tiere kamen per Luftfracht aus Südamerika mit Adresse in Mannheim, wie sagt man gleich? Ah, postlagernd. Da wurde der Zoll am Flughafen Frankfurt stutzig und hat die Kiste weiter zur Filiale nach Mannheim geschickt. Da die Begleitpapiere nicht in Ordnung waren, wurden die Vögel beschlagnahmt. Aber sämtliche Zoos der Umgebung wollten die Vögel nicht haben, daher wurde ich gefragt, ob ich sie nehmen würde.«

»Damit wäre das auch geklärt«, kommentierte Kommissar Greulich die Auskunft. »Herr Protzig sagte mir, Sie hätten ihm die Begleitpapiere mit dem Herkunftsnachweis noch nicht zugeschickt. Wollen sie mir die gleich mitgeben?«

»Äh, ja, das ist, hm, das ist nicht möglich. Ich muss diese Papiere verlegt haben. Ich werde sie suchen, und sobald ich sie gefunden habe, rufe ich Sie an, okay?«

»Einverstanden, Herr Coleman. Ist Ihnen bei den Papieren irgendetwas aufgefallen?«

»Nicht, dass ich wüsste. Für mich sahen sie okay aus. Nur das Hauptzollamt hat mir gesagt, dass die Herkunftsadresse gefälscht sei. Das hat aber den Tieren anscheinend nichts ausgemacht.« Coleman lachte laut über seinen Scherz.

Der Kommissar drehte sich stirnrunzelnd zur Seite, bevor er sich verabschiedete.

»Und die Kids? Habt ihr keine Fragen mehr?«, wollte Coleman wissen.

Sandra trat vor und sagte: »Vielen Dank, wir haben alles mitgeschrieben. Dürfen wir in den nächsten Tagen noch mal vorbeikommen und ein paar Fotos machen? Leider haben wir unsere Kamera daheim liegen lassen.«

»Haha, was sind das für Reporter, die ihre Ausrüstung vergessen. Klar, könnt ihr wiederkommen und so viele Bilder machen, wie ihr wollt.«

Dankend verabschiedeten sich alle und verließen den Hof.

Am Transporter angekommen, ließ Greulich zuerst den Dalmatiner raus, der ihm mit einem Satz entgegengesprungen kam und ihn fast in den Straßengraben warf.

»He, du Teufel, nicht so hastig«, rief ihm Greulich zu. Doch Elvis war schon bei seinem Marc angekommen, der ihn ausgiebig streichelte und beruhigte.

»He Kids«, ahmte Greulich die Stimme und Aussprache des Amerikaners nach. »Wollen wir noch eine Runde durch das Maudacher Bruch laufen und ein bisschen reden? Das wird bestimmt interessant!«

Klar, da waren alle dabei. Der Maudacher Bruch mit seiner unberührten Natur lud zu einer Wanderung geradezu ein. Auch Elvis machte keine Ausnahme. Sicherlich würde er das eine oder andere Kaninchen jagen können …

»Das war schon starker Tobak eben«, leitete der Polizist die Unterhaltung ein. »Was haltet ihr von Coleman?«

Kerstin schüttelte sich. »Der ist mir mindestens so unsympathisch wie Protzig, nur auf eine andere Art. So einem würde ich alles zutrauen.«

Marc trumpfte auf. »Ich denke sogar, dass er es war, der sich die Vögel mit falschen Papieren postlagernd nach Mannheim schicken ließ. Zutrauen würde ich ihm das sofort.«

»Und warum hat er dann die Aras anschließend verschenkt?«, fragte Kevin.

»Ist doch klar, weil die Sache aufgeflogen ist. Bevor der Zoll weiter nachforscht und ihm vielleicht auf die Schliche kommt, spielt er lieber den scheinheiligen Samariter.«

Kerstin schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Erst die Vögel verschenken, dann wieder stehlen. Was soll das?«

Fast hätte Kevin sich verplappert und von den Männern erzählt, die mit dem Zoomobjektiv die Ringe der Aras fotografiert haben. Doch Kerstin kannte ihren Bruder genau und gab ihm rechtzeitig ein Zeichen, still zu sein. Diesen Wissensvorsprung wollten die wilden Vier Kommissar Greulich noch vorenthalten.

»Wisst ihr, was ich glaube?«, sagte Greulich in die Runde. »Ich denke, dass da zwei Sachen oberfaul sind. Zum einen die Geschichte mit dem Zoll und Coleman, zum anderen der Diebstahl und Protzig. Wahrscheinlich gibt es zwischen beiden gar keine Verbindung, außer natürlich, dass Coleman Protzig die Vögel geschenkt hat.«

»Da könnte was dran sein«, gab ihm Sandra Recht. »Aber noch etwas anderes ist mir aufgefallen. Dieser Coleman hat von Papageien überhaupt keine Ahnung. Er hat uns nämlich einen ziemlichen Schwachsinn erzählt!«

Alle blieben stehen und starrten Sandra an.

Frage: Warum meinte Sandra, dass Coleman von Papageien keine Ahnung hat?

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