Cover Die wilden Vier und der Schatz im Rathauskeller

Der mysteriöse Freund

Autor: Harald Schneider

„Marc, was ist heute mit dir los? Hör sofort auf, mit Kevin zu schwätzen!“

Herr Neumann klang sehr verärgert, denn er ermahnte Marc schon zum dritten Mal. Der Mathematikunterricht wollte heute nicht so richtig in Schwung kommen. Mal hatten Marc und Kevin es sehr wichtig und störten die halbe Klasse mit ihrem Geflüster, mal waren es Sandra und Kerstin, die sich angeregt unterhielten. Bei den Unterhaltungen drehte es sich natürlich nicht um die binomischen Formeln, die Herr Neumann der Klasse erklären wollte.

Die Unruhe der wilden Vier steckte schließlich auch den Rest der Klasse an, sodass der Klassenlehrer fast verzweifelte. Mit einem „Muss ich euch erst mit einem Mathetest in der nächsten Stunde drohen?“, versuchte er den Unterricht zu retten. Zum Glück läutete in diesem Augenblick die erlösende Pausenglocke.

Die wilden Vier waren noch nicht richtig aus ihrem Klassensaal gestürmt, da rannte ihnen Daniel winkend entgegen.

„Hi, habt ihr was über die Karte herausbekommen?“ Mit seiner Stimme übertönte er alle anderen Geräusche auf dem Flur.

„Zuerst muss unser Baby ganz schnell lernen, seine Klappe zu halten“, fuhr ihn Kerstin wütend an. Sie schaute sich um, denn einige Klassenkameraden waren neugierig stehen geblieben.

„Du klebst dir jetzt erst mal den Mund zu, und dann kommst du halt ausnahmsweise mit uns. Aber das wird nicht zur Gewohnheit, verstanden?“

Gemeinsam und unter den aufmerksamen Blicken mancher Schüler gingen die fünf zu den Sitzbänken im Schulhof.

„Was machen wir jetzt?“, kam Marc sofort zur Sache. „Wir nehmen an, dass Opa Georg sein Geld im Hauptbahnhof verbuddelt hat. Jutta allerdings denkt, dass es irgendwo im Haus versteckt ist.“

„Die Karte muss nicht unbedingt stimmen“, gab Kerstin zu bedenken. „Trotzdem sollten wir uns für alle Fälle das Haus in Ruhe anschauen. Man kann nie wissen, was wir dabei so alles finden. Vielleicht gibt es noch mehr solcher Karten?“

„Ich interessiere mich auch brennend für die Villa“, gab Kevin zu. „Die riecht förmlich nach Abenteuer und Geheimnissen.“

„Und du, Daniel, was machst du heute Mittag? Dir wird das doch bestimmt total langweilig werden, du kennst das Haus bestimmt in- und auswendig“, versuchte Sandra den ungebetenen Gast loszuwerden. Doch Daniel blieb hartnäckig.

„Och nee, wisst ihr, alleine habe ich dort bisher noch nie rumgestöbert. Ich weiß auch nicht, ob mir Tante Jutta das erlaubt hätte. Und bis vor Kurzem wohnten dort ja auch noch ihre Eltern, die hätten das nicht zugelassen. Daher gehe ich gerne mit euch zusammen zu Jutta, das wird bestimmt aufregend.“

Seufzend beendeten die wilden Vier das aussichtslose Unterfangen, Daniel loszuwerden. Sie mussten zurück in den Klassenraum, die nächste Stunde fing gleich an.

Herr Neumann hatte in der nächsten Doppelstunde bedeutend weniger Mühe mit seiner Klasse. Die störenden Gespräche zwischen Kevin und Marc sowie Kerstin und Sandra unterblieben. Alle vier dachten über das bisherige Geschehen bei Jutta nach und was heute Mittag wohl passieren würde.

Dem Unterricht konnten sie trotzdem nicht folgen. Herrn Neumann war das ausnahmsweise egal, Hauptsache es herrschte Ruhe, während er seine endlosen lehrreichen Monologe herunterspulte.

Die Hausaufgaben erledigten die wilden Vier in Rekordzeit, wenn auch auf Kosten der Qualität. Um 15 Uhr trafen sie sich an der Straßenbahnhaltestelle „Zum Schwanen“. Sie hatten Daniel zwar nichts von ihrem Treffpunkt gesagt, dass er aber trotzdem auf sie wartete, wunderte sie überhaupt nicht mehr.

„Da bist du ja schon“, lächelte Kerstin ihm süßsauer zu. „Wir dachten, du hättest es dir anders überlegt.“

Gemeinsam fuhren die vier mit Daniel und Elvis, den Marc diesmal eng an der Leine führte, drei Haltestellen bis zum „Südweststadion“. Nach wenigen hundert Metern hatten sie ihr Ziel erreicht. Ausgerechnet Juttas Freund Sven begegneten sie im Vorgarten. Sofort fing Elvis wieder an, unruhig zu werden.

„Was ist denn mit dir los, Elvis?“, Langsam wurde Marc sauer auf seinen Dalmatiner. Sven murmelte nur eine unverständliche Begrüßung und verschwand in der Garage.

Da entdeckten sie Jutta, die aus dem Haus kam. „Hallo, ihr seid pünktlich auf die Minute“, stellte sie mit einem Blick auf die Uhr fest.

„Ist doch selbstverständlich. Schließlich wollen wir auf Schatzsuche gehen“, antwortete Sandra mit einem Grinsen.

Jutta Marsanek lachte. „Langsam, langsam. Zuerst will ich euch das Haus zeigen. Dann sehen wir weiter. Kommt rein. Übrigens, habt ihr Sven gesehen?“

„Dein Freund ist, als er uns gesehen hat, in der Garage verschwunden“, berichtete Kerstin. „Über unseren Besuch schien er sich nicht sonderlich zu freuen.“

„Ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist“, meinte Jutta mit einem bedauernden Schulterzucken. „Normalerweise ist er die Freundlichkeit in Person. Doch seit gestern verhält er sich komisch. Aber egal, jetzt gehen wir auf Besichtigungstour, okay?“

Die wilden Vier und Daniel folgten Jutta. „Die Eingangshalle kennt ihr bereits“, begann Jutta mit der Führung. „Im Erdgeschoss gehen sämtliche Zimmer von dieser Halle ab. Unterkellert ist die Villa nicht, dafür sind die einzelnen Räume riesengroß. Hier seht mal!“

Mit einer Handbewegung öffnete sie die nächste Tür. Die Jugendlichen starrten in ein Badezimmer mit gigantischen Ausmaßen. „Dies war früher die Bibliothek. Bäder gab es damals noch nicht. Gleich nebenan ist die Küche, die ist noch ein Stück größer. Kommt mal mit.“

Das Staunen der fünf wurde immer größer. Die Küche war, genau wie das Badezimmer, recht altmodisch eingerichtet. Über dem offenen Holzherd befand sich ein Regal, an dem Töpfe und Pfannen hingen.

„Mann, das ist ja wie im Film“, bewunderte Kerstin die Einrichtung. „Hier kann eine ganze Armada von Köchen gleichzeitig arbeiten.“

„Da hast du nicht mal so Unrecht. Meine Großeltern sollen früher große Empfänge gegeben haben. Da war dann richtig Leben in der Bude.“

„Puh, das wird schwierig mit der Suche.“ Kevin schüttelte ungläubig den Kopf. „Da können wir jahrelang suchen und haben immer noch nicht alles gesehen. Der Schatz kann überall versteckt sein.“

„Komisch, dass du den Schatz erwähnst“, nahm Jutta den Faden auf. „Jetzt, wo du das sagst, fällt mir gerade etwas ein. Ich selbst vermute, wie ich schon erwähnte, dass mein Opa hier sein Vermögen versteckt hat. Aber Sven erwähnte zuletzt öfters den verloren gegangenen Brief. Ihr wisst schon, den mit dem Rätsel. Eigentlich will ich ihn die ganze Zeit überreden, dass wir die Suche endlich einstellen. Aber er ist so vernarrt in die Idee, daher lasse ich ihm seine Freude und helfe ein bisschen mit. Ich glaube aber trotzdem, dass das alles nichts bringt.“

Nachdem sie den Rest der Räume im Erdgeschoss gesehen hatten, gingen sie die knarrende Treppe nach oben. Von der Empore gingen vier Türen ab, sowie eine kleinere Stiege nach oben zum Speicher.

„Hier“, Jutta deutete auf die Treppe nach oben, „geht es zum Dachboden, der voll mit Gerümpel und Kartons ist. Außerdem gibt es drei Schlafzimmer und einen leeren Raum, der früher mal als Hobbyraum für meinen Urgroßvater diente. Der hat nämlich gemalt.“

Die Jugendlichen inspizierten sämtliche Räume des Obergeschoßes und gingen anschließend zum Dachboden. Der wirkte wie eine riesige Halle mit schrägen Wänden. Überall stand Gerümpel herum. Zum Abschluss besichtigten sie den Garten. Jutta zeigte ihnen zwei kleinere Nebengebäude, die ebenfalls mit allerlei Trödel vollgestopft waren. Schließlich gingen sie zurück ins Haus.

„Ich würde gerne nochmal in dem großen Speicher nachschauen. Vielleicht ist in einem der vielen Kartons ein Hinweis zu finden“, schlug Kevin vor.

Jutta nickte zustimmend. „Geht nur nach oben, ihr kennt ja den Weg. Da habt ihr euch den staubigsten Raum im ganzen Haus ausgesucht. Dort habe ich bisher nur ganz wenig ausgeräumt. Ich trinke jetzt in Ruhe meinen Kaffee aus. Ihr könnt euch ja melden, wenn ihr etwas gefunden habt.“

Die wilden Vier stürmten sofort die Treppe hoch. Daniel natürlich auch. Durch die kleinen Dachluken drang nur wenig Sonne und die kleine Deckenlampe spendete kaum Licht, deshalb wirkte alles sehr düster. Kerstin und Sandra schalteten ihre Taschenlampen ein. Wahllos stöberten sie in den Kisten und Kartons.

Elvis fühlte sich in dem ungemütlichen und staubigen Raum wohl. Schnüffelnd suchte er sich ein bequemes Plätzchen auf einem zerlöcherten Bettvorleger.

Die Jugendlichen wirbelten bei ihrer Suchaktion viel Staub auf, der überall zentimeterdick lag. In den ersten Kartons befanden sich hauptsächlich alte Wäschestücke und ein paar handgemalte Bilder.

„Eines weiß ich mit Sicherheit“, meinte Marc, während er einen weiteren Karton öffnete. „Ein Notebook wird da wohl nicht drin sein.“

Kerstin lachte. „Das Modernste dürfte der Bettvorleger sein, auf dem Elvis liegt. Und den hatten bestimmt schon die Neandertaler in Gebrauch!“

„Kommt mal alle her“, rief Sandra in diesem Moment. Sie hielt einen Packen Briefe in der Hand, der mit einer Schleife zusammengebunden war. „Ob wir die öffnen dürfen?“

„Na klar, die sind doch uralt“, stimmte Marc zu. „Das stört niemand mehr. Los mach auf.“ Sandra zog die Schleife ab und untersuchte aufgeregt die Aufschrift der Briefe.

„Hm, alles schwer zu lesen, ziemlich verwittert und dann so verschnörkelt. Der Adressat ist jedes Mal Georg Marsanek. Das sind offensichtlich Briefe, die Juttas Opa bekommen hat.“

Sie öffnete den obersten Brief und zog ein vergilbtes Blatt Papier aus dem Kuvert. „Mensch, das ist voll schwer zu entziffern. Ich verstehe nur Bahnhof.“

„Wo steht da was mit Bahnhof?“, wollte Kevin wissen und versuchte, ihr den Brief abzunehmen.

„Quatsch, das ist nur so eine Redewendung. Ich kann darin wirklich nichts Zusammenhängendes finden. Nur der letzte Satz, der ist etwas deutlicher.“

Langsam las Sandra vor: „ … und hoffe, dass du mir verzeihen kannst. Dein ewiger Freund Herrmann Schrauber.“

„Damit können wir nicht allzu viel anfangen“, seufzte Kerstin. „Wir sollten die Briefe mitnehmen und von jemandem vorlesen lassen, der sich mit dieser alten Schrift auskennt.“

Da mischte sich Daniel mit hochrotem Kopf ein. „Wie war der Name von dem Freund? Kannst du das noch mal sagen?“

„Herrmann Schrauber, warum? Sag bloß, du kennst den? Das glaubt dir kein Mensch. Der Brief wurde vor vielen Jahrzehnten geschrieben!“ Sandra sah ihn spöttisch an.

„Nein, diesen Herrmann kenne ich nicht.“ Daniel schüttelte den Kopf. „Aber haltet euch fest, was ich euch zu sagen habe. Juttas Freund Sven heißt mit Nachnamen Schrauber!“

Diesmal war es Daniel tatsächlich zum ersten Mal gelungen, die wilden Vier zu verblüffen. Sie schauten sich gegenseitig an und waren sprachlos. „Bist du dir sicher, Daniel? Das ist ja die Bombe!“, rief Kerstin schließlich.

„Klar bin ich mir sicher. Was hat das jetzt aber zu bedeuten?“

„Na, kommst du nicht von alleine drauf?“, fragte ihn Kevin und verdrehte über Daniels Begriffsstutzigkeit die Augen. „Das ist doch sonnenklar. Er wusste bereits vorher über das Vermögen Bescheid. Und das war wohl der Grund, dass er sich bei Jutta eingeschlichen hat. Mensch, der Kerl will den Schatz finden und Jutta ist nur das Mittel zum Zweck. Sobald er das Geld gefunden hat, haut er ab. Bestimmt.“

„Könnte sein“, spekulierte Sandra. „Das werden wir gleich überprüfen. Kommt, wir gehen zu Jutta. Und kein Sterbenswörtchen von dem Brief, verstanden?“

Im Wohnzimmer angekommen, fanden sie Jutta beim Lesen einer Illustrierten vor. „Hallo Tante“, begann Daniel. „Du, weißt du zufällig, wie Svens Opa heißt? Wir sind ins Gespräch gekommen, da haben wir bemerkt, dass wir einen Jungen im Fußballverein haben, der mit Nachnamen wie Sven heißt. Kann es sein, dass der mit ihm verwandt ist?“

„Wie kommt ihr denn da jetzt drauf?“, wollte Jutta wissen. „Keine Ahnung, ich weiß nicht, ob er einen Neffen in dem Alter hat. Bis jetzt hat er nichts davon gesagt. Svens Großvater väterlicherseits hieß Herrmann mit Vornamen. Von seinen Großeltern mütterlicherseits hat er mir nie erzählt.“

„Dann ist es bestimmt eine Verwechslung“, warf Kevin rasch ein. „Unser Bekannter meinte, sein Opa hätte Peter geheißen.“

„Schrauber ist ein häufiger Name. Aber nun erzählt mir von eurer Schatzsuche auf dem Dachboden. Habt ihr was erreicht?“

„Nein, bisher war alles Fehlanzeige“, schaltete sich Sandra ein. „Du hattest Recht, da sind tatsächlich Unmengen von Sachen. Man braucht Jahre, um das alles durchzusehen.“

„Ja“, fiel Kerstin ein. „Ohne Planung geht da gar nichts. Wir haben beschlossen, das Ganze systematisch anzugehen. Wir werden uns einen Plan überlegen und dich dann wieder besuchen, Jutta. Ist das okay?“

„Na klar. Ich hab’s mir gedacht, dass das nicht einfach wird. Sagt mir Bescheid, wenn ihr eine Idee habt, wie man mit dem Chaos dort oben fertig wird. Meine Telefonnummer habt ihr ja.“

Die wilden Vier verabschiedeten sich zusammen mit Daniel. Sven konnten sie beim Verlassen des Grundstückes nirgendwo sehen.

„Wenigstens bleibt der uns im Moment erspart. Sonst hätte ihn Elvis wieder gejagt“, brummte Marc. „Aber sag mal, Kerstin, warum haben wir so schnell gehen müssen? Ich hätte gerne noch weitergesucht!“

„Würdest du versuchen, ein wenig logisch zu denken, dann wüsstest du es bestimmt!“, fuhr ihn seine Schwester an. Als Kerstin auch in den Gesichtern der anderen nur Fragezeichen sah, klärte sie ihre Freunde auf: „Dass Svens Opa ein Freund von Georg Marsanek war, dürfte wohl so gut wie sicher sein. An Zufälle dieser Art glaube ich nicht. Ich vermute, dass Sven die Geschichte von dem geheimnisvollen Schatz von seinem Opa oder seinem Vater gehört hat. Nur aus diesem Grund hat er sich wahrscheinlich bei Jutta eingenistet.“

 „Und Jutta weiß wahrscheinlich von alledem nichts“, fügte Sandra mit böser Miene hinzu. „Ihm geht’s also nur um das Vermögen von Georg.“

„Ja, so wird’s wohl sein“, übernahm Kerstin wieder das Wort. „Jutta hat selbst erwähnt, dass Sven nach dem Brief mit dem Rätsel sucht. Der Brief muss im Haus sein, wenn es ihn überhaupt gibt. Juttas Eltern haben ihn angeblich besessen.“

„Jetzt verstehe ich das Ganze“, unterbrach sie ihr Bruder. „Sven sucht im Haus gar nicht das Vermögen, sondern nur den Brief. Was nichts anderes bedeutet, als dass der Schatz im Rathauscenter ist.“

„Sehr gut“, lobte Sandra ihn mit einem Zwinkern. „Aber ob der noch dort ist, das gilt es jetzt rauszufinden. Da kam mir nämlich vorhin ein guter Gedanke. In der Nähe ist das Ludwigshafener Stadtarchiv. Dort darf jeder hinein, der sich über die Vergangenheit informieren will. Ich denke, wir sollten uns Unterlagen über den alten Hauptbahnhof anschauen. Also, wer kommt mit?“

Klar, dass alle mitgingen. Es war nicht weit bis zur Rottstraße. Marc drehte sich alle paar Schritte nervös um, bis Daniel ihn schließlich fragte: „Was ist denn? Hast du was verloren?“

„Nee, aber irgend so ein Typ läuft uns die ganze Zeit nach. Und immer, wenn ich mich umdrehe, versteckt er sich hinter einem Baum oder in einem Hauseingang.“

„Das wird bestimmt dieser Sven sein“, meinte Sandra und blickte sich nun ebenfalls um. „Ob der Lunte gerochen hat?“

„Ich weiß nicht“, antwortete Marc. „Irgendwie kommt mir der Verfolger kleiner vor als Sven. Ich kann mich aber auch täuschen. Er ist zu weit weg und dreht sich immer zur Seite, wenn ich ihn ansehe.“

„Und wenn schon, lass ihn doch“, winkte Kevin ab. „Wir gehen bloß ins Stadtarchiv, das ist schließlich kein Geheimnis! Außerdem sind wir schon da.“

Auf den Stufen vor dem Eingang lungerte ein Bettler herum. Die drei schwarzen Punkte auf seiner gelben Armbinde machten deutlich, dass er blind war. Teilnahmelos saß er hinter seinem Hut, der auf der untersten Stufe stand. Ohne ihn weiter zu beachten, gingen die fünf Jugendlichen an ihm vorbei ins Gebäude des Stadtarchivs.

Schon der Vorraum sah geheimnisvoll aus. Die Wände waren mit Plakaten aus alten Zeiten beklebt. Hier die Einweihung des Ebertparks vor bald 100 Jahren, daneben Filmplakate des alten Pfalzbaus. Insgesamt eine recht illustre Geschichte des jungen Ludwigshafens. Die fünf Jugendlichen interessierten die Plakate jedoch nicht. Zusammen mit Elvis, den Marc mit kurzer Leine hielt, betraten sie zielstrebig den Hauptraum des Archivs.

Erstaunt blickte der Archivleiter von seinem Schreibtisch auf, als er das Quintett bemerkte. „Hallo, was wollt ihr denn hier? Ihr wisst schon, dass dies das Archiv ist und nicht die Jugendbibliothek?“

Misstrauisch blickte er zunächst die Jugendlichen an, danach den Dalmatiner. Doch der blieb brav an Marcs Seite. „Ja natürlich, das wissen wir“, antwortete Kerstin. „Wir suchen Informationen über den alten Hauptbahnhof.“

Verwundert blickte der grauhaarige Mann sie durch seine Nickelbrille an. „Nanu, das kann doch wohl nur ein Zufall sein. Ihr seid nicht die Ersten. Heute war schon einmal jemand hier, der nach alten Plänen des Hauptbahnhofes suchte. Gehört ihr zusammen?“

Die wilden Vier horchten auf. Nein, dass konnte kein Zufall sein. Wer konnte das wohl gewesen sein?

„Es geht um ein Referat für die Schule“, log Marc. „Wir wissen nicht, was diese andere Person wollte. Vielleicht war es der Vater eines Klassenkameraden.“ Sandra beschrieb dem Archivar Juttas Freund.

Das leuchtete dem Archivar ein. Nach kurzer Überlegung schüttelte er den Kopf. „Nein, das war nicht der Mann, der vor einer Stunde bei mir war. Er war sehr kurz angebunden und schien es sehr eilig gehabt zu haben.“ Er zuckte mit den Schultern. „Dann interessiert euch also auch das Kellergewölbe des Bahnhofes?“

Aha, der große Unbekannte wusste also auch, um was es ging.

„Genau darum geht es. Haben Sie Pläne, die wir uns anschauen können? Dürfen wir die kopieren?“, fragte Kevin zielstrebig.

„Immer mit der Ruhe, eins nach dem anderen“, wehrte der Archivar ab. „Ich kann euch nur das Gleiche sagen wie dem Besucher vorhin auch. Pläne gibt es, die liegen aber nicht so einfach herum. Wir haben kilometerweise Bücher und Akten, da braucht die Suche ein bisschen Zeit. Ich denke, in zwei bis drei Tagen könnt ihr wieder vorbeikommen. Bis dahin habe ich euch das Gewünschte herausgesucht. Selbstverständlich dürft ihr dann für eure Klassenarbeit Kopien anfertigen.“

„Das ist aber schade. So auf die Schnelle haben Sie keine Unterlagen über den Hauptbahnhof?“, bettelte Kerstin.

„Nein, nein, so schnell habe ich wirklich nichts. Allerdings habe ich den Bahnhof noch selbst erlebt. Deshalb kann ich euch sagen, dass er über riesige Kellergewölbe verfügte, die teilweise sogar mehrstöckig waren. Aber macht euch keine falschen Hoffnungen, da noch etwas zu finden. Als der Bahnhof abgerissen wurde, hat man alles zugeschüttet. Davon ist absolut nichts mehr übriggeblieben.“

Einen Moment überlegte der Mann, dann schien er eine Idee zu haben. „Seid ihr aus der Schule im Stadtteil Mundenheim?“

Schweigend nickten die wilden Vier.

„Dann kennt ihr bestimmt Herrn Gimpel. Der unterrichtet doch bei euch Geschichte?“

„Ja klar, den haben wir in Geschichte und Musik“. Marc hatte das Thema schon abgehakt und antwortete enttäuscht auf die Fragen des Archivars.

„Warum geht ihr nicht zu ihm? Er hat mehrere Bücher über Ludwigshafen geschrieben. Da waren auch Berichte über die Entstehung des Rathauscenters drin, daran kann ich mich gut erinnern. Vielleicht kann der euch weiterhelfen?“

„Ja, das kann was werden“, überlegte Kerstin. „Vielen Dank. Wir werden Herrn Gimpel fragen, ob er uns hilft. Können Sie uns trotzdem daheim anrufen, wenn sie etwas in ihrem Archiv gefunden haben?“

„Na klar mache ich das. Dafür bin ich schließlich da. Das Archiv steht für jeden offen. Auch für Schüler.“

Kerstin ging zum Schreibtisch und schrieb ihre Telefonnummer auf einen Zettel. „Vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen“. Die Jugendlichen verabschiedeten sich.

Daniel konnte es kaum abwarten. Im Vorraum angekommen, platzte es aus ihm heraus. „Mann, da sind noch mehr Gangster hinter unserem Schatz her. Wir müssen sofort zur Polizei. Das wird langsam gefährlich!“

„Langsam, Junge“, holte ihn Sandra auf den Boden der Tatsachen zurück. „Du hast zu viele Krimis geschaut. Ich kann nicht erkennen, dass daran was gefährlich sein soll. Im Moment wissen wir nur, dass es einen unbekannten Dritten gibt und der nicht identisch mit Sven ist.“

„Und dieser Typ, der uns vorhin nachgeschlichen ist? Was ist mit dem?“

„Keine Panik. Wir wären nicht die wilden Vier, wenn wir das nicht rausbekommen würden — He, was ist jetzt schon wieder los?“

Elvis bekam wieder einen seiner seltsamen Anfälle. Mit voller Wucht zog er Marc die Stufen hinunter und die Straße entlang. Kevin rannte Marc nach, um ihm zu helfen. Die Mädchen standen mit Daniel an der Eingangstür und sahen den Dreien fassungslos nach.

Elvis flitzte mit Marc und Kevin an dem Bettler vorbei, der nach wie vor auf den Stufen saß und ihnen etwas nachrief.  „He, ihr zwei Jungs, passt auf. Rennt nicht so, die Straße ist gefährlich!“

Kurze Zeit später hatte Marc die Situation wieder unter Kontrolle. Nachdem er ausgiebig mit seinem Dalmatiner geschimpft hatte, waren die Jugendlichen endlich für den Heimweg bereit.

Marc blieb kurz neben dem Bettler stehen und wollte gerade seinen Geldbeutel zücken, da stieß ihn Kerstin an und zischte: „Hör bloß auf, gib dem ja nichts. Das ist nämlich ein gemeiner Schwindler!“

Marc schaute Kerstin erstaunt an. Was hatte sie damit wohl gemeint?

Frage: Warum war der Bettler ein Schwindler?

Antwort: .nefualiebrov mhi na sgnuJ iewz ssad ,nessiw thcin nnak reltteB rednilb niE