Cover Die wilden Vier und der Schatz im Rathauskeller

Im Keller des Rathauscenters

Autor: Harald Schneider

Der nächs­te Tag begann ent­täu­schend. Normalerweise hät­ten sie heu­te in der ers­ten Doppelstunde Geschichte bei Herrn Gimpel. Gleich in der ers­ten Pause woll­ten die wil­den Vier ihn wegen des Rathauscenters interviewen.

Leider kam es dazu nicht. Ein Vertretungslehrer teil­te ihnen mit, dass Herr Gimpel eine Weiterbildung mach­te und des­halb heu­te kei­nen Unterricht abhal­ten wür­de. Die Enttäuschung war klar. Doch was soll­ten sie machen?

Am Nachmittag kamen Marc und Sandra schlecht gelaunt zu den Zwillingen in den Clubraum. Kerstin saß auf der Couch und las Zeitung.

„Mist, was machen wir jetzt nur? Jede Stunde, die wir war­ten, kann zu unse­rem Nachteil sein. Irgendjemand ist gera­de dabei, das Geheimnis des Schatzes zu ent­de­cken. Und ob der so ehr­lich ist wie wir, mag ich bezweifeln.“

„Hört euch das mal an“, fiel Kerstin ihrem Bruder ins Wort. „Das bringt uns zwar nicht wei­ter, ist aber immer­hin ein Versuch wert.“

Kerstin fal­te­te die Zeitung zusam­men, sodass nur noch ein Artikel zu sehen war. Sie las vor:

„Die Stadtverwaltung infor­miert: Morgen fin­det um 15 Uhr im Keller des Rathauscenters eine Fahrradversteigerung des Fundbüros statt. Sämtliche Fahrräder, die seit mehr als einem Jahr im Fundus ste­hen und noch nicht abge­holt wur­den, wer­den zu einem Startpreis ab 1€ ver­stei­gert. Hierzu ist die Bevölkerung der Stadt Ludwigshafen herz­lich ein­ge­la­den. Interessenten benut­zen bit­te den Aufzug in der Empfangshalle, um in das ers­te Untergeschoß zu gelan­gen. Der Weg zum Versteigerungsort ist aus­ge­schil­dert. Hochachtungsvoll — Die Oberbürgermeisterin.“

„Na, wenigs­tens ein klei­ner Hoffnungsschimmer. Da kön­nen wir uns bestimmt unauf­fäl­lig umschau­en. Jetzt brau­chen wir nur noch einen Plan des Kellers.“

„Ich wür­de mir da kei­ne so gro­ße Hoffnung machen. Der Keller unter dem Rathauscenter ist nicht sehr alt. Das Kellergewölbe vom Hauptbahnhof wur­de damals zuge­schüt­tet, wie der Archivar gesagt hat.“

Kevin wipp­te ner­vös von einem Fuß auf den ande­ren. „Egal, ich halt die Warterei nicht mehr aus. Ich geh jetzt zu Herrn Gimpel. Vielleicht ist er schon zu Hause.“

„Okay, ein Versuch ist es auf jeden Fall wert“, stimm­te Kerstin zu. „Er wohnt zum Glück nur zwei Straßen weiter.“

„Ich hät­te nie gedacht, dass ich den Gimpel mal frei­wil­lig besu­che“, sag­te Kevin, dem das Fach Musik ein Graus war.

Die Kameraden brauch­ten kaum zwei oder drei Minuten, bis sie am Haus des Lehrers ange­kom­men waren. Kerstin drück­te fest auf die Klingel. „Und jetzt alle mal Daumen drücken!“

In die­sem Moment öff­ne­te sich die Haustür und eine Frau in einem geblüm­ten Kleid frag­te sie: „Ja, bitte?“

„Entschuldigen Sie, Frau Gimpel. Ist ihr Mann zu spre­chen? Es ist sehr wichtig!“

„Das kommt aber nicht gera­de oft vor, dass die Schüler mei­nes Mannes ihn daheim besu­chen. Ihr habt Glück, er ist vor fünf Minuten heim­ge­kom­men. Kommt rein.“

Frau Gimpel gelei­te­te die vier, die ohne Elvis unter­wegs waren, ins Arbeitszimmer ihres Mannes. Der Lehrer war höchst erstaunt, die wil­den Vier zu erblicken.

„Das ist aber eine Überraschung.“ Er rück­te die klei­ne, ecki­ge Lesebrille auf sei­ner Nase zurecht. „Ihr habt nicht etwa Sehnsucht nach mir? Ich war doch nur ein Tag weg, mor­gen kom­me ich wie­der.“ Er mach­te eine nach­denk­li­che Pause, bevor er fort­fuhr: „Oder habt ihr wie­der einen eurer berühm­ten Streiche gemacht und wollt mich see­lisch auf etwas vor­be­rei­ten, was mich mor­gen in der Schule erwartet?“

„Nein, nein, nichts der­glei­chen, Herr Gimpel“, wehr­te Sandra lachend ab. „Wir brau­chen ihre Hilfe als Experte für eine Recherche, die sich mit der Vergangenheit von Ludwigshafen befasst.“

Herr Gimpel strahl­te. Wenn man ihn als Experten bezeich­ne­te, wuchs er über sich hin­aus und man konn­te von ihm haben, was man woll­te. Oft genug hat­ten die Schüler die­sen Trick erfolg­reich ange­wandt, um sich auf die­se Weise vor einer unlieb­sa­men Hausaufgabenüberprüfung zu drücken.

„Ich wuss­te gar nicht, dass ihr euch mit der Vergangenheit eurer Heimatstadt befasst. Das freut mich sehr. Ich habe jede Menge Bücher und Schriften. Ich kann euch stun­den­lang dar­über erzählen.“

„Danke, Herr Gimpel“, Sandra ver­such­te, den Redefluss ihres Lehrers in die rich­ti­ge Richtung zu len­ken, bevor er sie mit Monologen zu Tode lang­weil­te. „Wir inter­es­sie­ren uns im Moment nur für den alten Hauptbahnhof. Dort, wo jetzt das Rathauscenter steht. Haben Sie davon viel­leicht alte Pläne?“

„Pläne? Nein, so etwas habe ich nicht. Dafür ist das Stadtarchiv zuständig.“

Die Enttäuschung war groß für die wil­den Vier. Allesamt lie­ßen sie ihre Köpfe hän­gen. Mist – wie­der eine Sackgasse.

„Vielleicht rei­chen euch Fotos? Ich habe damals jeden Baufortschritt foto­gra­fiert. Es war eines der größ­ten Bauvorhaben in der Geschichte von Ludwigshafen.“

Die wil­den Vier horch­ten auf. „Haben Sie auch Fotos vom Abriss? Sieht man da den Keller des Bahnhofes?“, hak­te Kevin nach.

Herr Gimpel hob die Hand. „Langsam, lang­sam, am bes­ten hole ich die alten Ordner. Bitte setzt euch an den Tisch, es dau­ert einen Augenblick, bis ich alles gefun­den habe.“

Zufrieden setz­ten sich die Jugendlichen an den Tisch. Es hat­te sich anschei­nend gelohnt, ihren Lehrer zu besu­chen. Wenige Minuten spä­ter kam Herr Gimpel mit vier dicken Ordnern an. Schnaufend leg­te er sie auf dem Tisch ab.

„Papier ist schwer. Diese Ordner brin­gen ein paar Kilogramm auf die Waage. In die­sem habe ich die Fotos archi­viert.“ Er schlug einen der Ordner auf und schon blick­ten die wil­den Vier auf Fotos des ehe­ma­li­gen Hauptbahnhofes.

„Die Bilder sind chro­no­lo­gisch abge­legt“, erklär­te Herr Gimpel. „Wenn ihr wei­ter­blät­tert, kommt der Abriss, danach der Neubau bis hin zur Einweihungsfeier.“

Marc, der vor­ne saß, blät­ter­te um. Zuerst kamen ein paar Seiten mit allen mög­li­chen Ansichten des Bahnhofes. Doch dafür hat­ten sie kei­ne Zeit. Schließlich kamen Fotos vom Abriss des Gebäudes. Immense Schuttberge lagen auf der Straße und wur­den von gro­ßen Muldenkippern abgefahren.

Das Fotoalbum erwies sich als Goldgrube. Eine Seite wei­ter war das ober­ir­di­sche Gebäude ver­schwun­den und Bagger gru­ben die Fundamente des Kellers aus. Die Jugendlichen waren erstaunt über die Weiträumigkeit der Baugrube.

„Das war ein rie­si­ger Irrgarten da unten“, kom­men­tier­te Kerstin die Fotos. „Der Keller ist sogar meh­re­re Stockwerke tief. Wie hat man sich da nur zurechtgefunden?“

„Das weiß ich lei­der auch nicht“, gab der Lehrer zu. „Aber du musst nicht glau­ben, dass der Keller des neu­en Rathauscenters klei­ner ist. Im Gegenteil, der Untergrund ist hoch­kom­plex. Und unten fah­ren sogar zwei­stö­ckig die Straßenbahnen. In Nord-Süd-Richtung vom Hemshof zur Stadtmitte und in Ost-West-Richtung von Mannheim zum neu­en Hauptbahnhof.“

Kevin wur­de unru­hig. „Ist der Keller mit den Tunnels für die Straßenbahnen verbunden?“

Herr Gimpel nick­te. „Sicher, das muss aus Sicherheitsgründen so sein. Ein Großteil des Kellers gehört der Stadtverwaltung, die dort Sachen lagert und archi­viert. Andere Teile des Kellers gehö­ren zu den vie­len Geschäften, die im Center sind, ein wei­te­rer Teil gehört zu den Verkehrsbetrieben, wie zum Beispiel die Tunnel.“

Marc blät­ter­te wei­ter. Nun war die lee­re Baugrube zu sehen, die gera­de für den neu­en Keller vor­be­rei­tet wur­de. „Was sind das für Holzvertäfelungen an den Wänden zur Baugrube, Herr Gimpel?“

Ihr Lehrer nahm sich den Ordner, rück­te sich sei­ne Brille zurecht und stu­dier­te das Foto. „Ihr müsst wis­sen, dass das Kellersystem des Hauptbahnhofes teil­wei­se bis unter die Fußgängerzone reich­te, die damals aber noch kei­ne Fußgängerzone war. Teilweise wur­den die Keller im Krieg als Fluchtstollen benutzt oder bei Bombenangriffen als Bunker. Da man beim Bau des Rathauses nicht die gan­ze Fußgängerzone auf­gra­ben konn­te, um die Stollen und Gänge zu ent­fer­nen – das wäre viel zu teu­er gewor­den – hat man ein­fach die Zugänge ver­mau­ert und anschlie­ßend die neue Kellerwand betoniert.“

Jetzt waren alle vier auf­ge­regt. Sandra frag­te: „Wissen Sie, ob es einen ande­ren Zugang zu die­sem Stollensystem gibt?“

„Das glau­be ich nicht. Ich habe jeden­falls nichts mehr davon gehört. Vom Rathauscenter aus dürf­te alles dicht sein. Ob die Stollen irgend­wo anders einen Ausgang haben, ent­zieht sich mei­ner Kenntnis.“

Der Besuch hat­te sich gelohnt. Die wil­den Vier waren sich sicher, dass es irgend­wo einen Zugang zu die­sem Stollensystem gab und dass dort das Vermögen von Juttas Opa ver­steckt sein musste.

Es dau­er­te eine Weile, bis sie sich von ihrem Geschichtslehrer ver­ab­schie­den konn­ten. Es wäre zum einen sehr unhöf­lich und zum ande­ren sehr auf­fäl­lig gewe­sen, wenn sie sofort nach die­ser Eröffnung gegan­gen wären. So muss­ten sich die vier die Fotoalben bis zum Ende anschau­en und hat­ten nun immer­hin den Vorteil, sich im Rathauscenter eini­ger­ma­ßen aus­zu­ken­nen. Selbst an Orten, an denen sie vor­her noch nie waren.

„Wow, das war ja ein rich­ti­ger Volltreffer“, freu­te sich Sandra, als sie wie­der im Clubraum zusam­men­sa­ßen und über die Ereignisse sprachen.

„Morgen schau­en wir uns bei der Versteigerung um. Ich glau­be zwar nicht, dass das was bringt, man soll aber nichts unver­sucht las­sen, wie uns das Beispiel Gimpel gera­de gezeigt hat.“

„Marc kann sich dann ein neu­es Rad erstei­gern“, läs­ter­te Kevin. „Sein jet­zi­ges quietscht der­ma­ßen, dass es eigent­lich eine akus­ti­sche Körperverletzung ist.“

Eine Viertelstunde vor 15 Uhr gin­gen die wil­den Vier durch die gro­ße Drehtür, die die Einkaufsmall vom Rathaus trenn­te. Die Aufzüge befan­den sich weni­ge Meter dahin­ter. Kurz dar­auf kamen die Freunde im Kellergeschoss an. Sie waren die ein­zi­gen, die mit dem Aufzug nach unten fuh­ren. Sie erblick­ten einen lan­gen Flur, der von einer gan­zen Reihe Leuchtstofflampen erhellt wur­de. Gegenüber der Aufzugstür kleb­te ein Zettel mit dem Hinweis „Zur Versteigerung“ und einem dicken Pfeil nach rechts.

„Das kann ja lus­tig wer­den“, sag­te Kevin, als sie das drit­te Mal in einen ande­ren Flur abbo­gen und dabei immer noch den Hinweisschildern folg­ten. „Da muss man ein paar Semester Labyrinthologie stu­die­ren, bevor man sich hier unten aus­kennt“, wit­zel­te Sandra.

Der Weg war immer noch nicht zu Ende. Zahlreiche Türen mün­de­ten in die ver­schie­de­nen Flure, meist waren sie nur mit Zahlen beschrif­tet. Ein letz­tes Mal muss­ten sie die Richtung wech­seln und nach links abbie­gen, dann erreich­ten sie einen grö­ße­ren Raum und waren am Ziel. Etwa ein gutes Dutzend Leute stan­den her­um und schau­ten sich die vie­len Fahrräder an, die in meh­re­ren Reihen auf­ge­stellt waren. Auf der einen Seite stand ein Tisch mit einem Schild „Auktionator“. Hier soll­te also die Versteigerung stattfinden.

Die wil­den Vier mim­ten zunächst Interesse, da sie die ein­zi­gen Jugendlichen im Raum waren und somit unter beson­de­rer Beobachtung stan­den. Bis zum Beginn der Versteigerung kamen wei­te­re Interessenten hinzu.

Die wil­den Vier rück­ten immer wei­ter ans Ende der Menschentraube. Nach einer Weile stan­den sie ganz hin­ten. Da der Leiter der Auktion die Anwesenden mit viel Humor in sei­nen Bann schlug, fiel es nicht auf, als die vier sich ver­krü­mel­ten. Leise schli­chen sie in einen Nebengang. Als sie außer Hörweite waren, frag­te Marc: „Und was machen wir jetzt? Ich habe die Orientierung ver­lo­ren. Ich weiß nur noch, wo oben und unten ist und selbst da bin ich mir nicht mehr so sicher.“

„Kein Problem“, ant­wor­te­te Sandra und zück­te ihren Kompass. „Hier ist Süden.“ Sie deu­te­te nach rechts. „Im Süden grenzt das Rathauscenter an die Bismarckstraße, das ist dort, wo ver­mut­lich die Gänge sind.“

Das Quartett bog nach rechts ab und lief einen wei­te­ren Flur ent­lang. Dieser ende­te aller­dings in einer Sackgasse. „Das scheint in die­sem Stockwerk der süd­lichs­te Flur zu sein“, stell­te Kerstin fest. „Wir müs­sen also in einen der Räume rein.“ Sie deu­te­te auf eine Reihe von Türen.

Marc drück­te ziel­stre­big eine Türklinke nach der ande­ren. Er lief den Flur ent­lang und hat­te bei der vier­ten Tür Glück. Sie war nicht abge­schlos­sen. „Los, kommt alle schnell mit rein, bevor uns noch einer erwischt.“

Sie kamen in einen Raum, in dem altes Mobiliar gela­gert wur­de. Schreibtische stan­den gesta­pelt auf der einen Seite, Schränke auf der ande­ren. „Toll, und was sol­len wir hier?“, frag­te Kevin. „Ihr wisst selbst, dass die Gänge alle zube­to­niert wurden.“

„Wer weiß, viel­leicht hat man irgend­wo ganz bewusst einen Zugang offen­ge­las­sen“, mein­te Sandra und sah sich um. „Wir soll­ten die Hoffnung nicht auf­ge­ben, zumal wir so nah dran sind. Blöd ist, dass aus­ge­rech­net auf der Südseite des Raumes die schwe­ren Schränke stehen.“

Kerstin klet­ter­te auf einen Schreibtisch, um auf die Oberseite der Schränke schau­en zu kön­nen. „He Leute, kommt mal hoch. Die Wand über die­sem Schrank sieht irgend­wie viel rau­er und abge­brö­ckelt aus.“

Im Nu stan­den die vier auf dem Schreibtisch und schau­ten in die glei­che Richtung wie Kerstin. „Mensch Kerstin, das ist bloß Schmutz und Spinnweben. Was soll dar­an beson­ders sein?“

„Vielleicht hast du Recht. Vielleicht aber nicht.“ Gekonnt sprang Kerstin vom Tisch und ging zu einem gro­ßen Aktenschrank. Mit aller Kraft ver­such­te sie, ihn auf die Seite zu schieben.

„Der ist schwer wie Blei“, ächz­te sie. „Los, jetzt helft mir end­lich!“ Gemeinsam ver­such­ten sie, den Aktenschrank zu bewe­gen. Doch er war zu schwer.

„Das liegt an der Reibung“, über­leg­te Sandra laut. „Raues Holz auf Steinfußboden ist nicht sehr gleit­fä­hig. Ich glau­be, ich habe eine Idee.“ Sandra ging in die ande­re Raumecke, in der ein Stapel alter Decken lag und schnapp­te sich eine.

„Gute Nacht“, läs­ter­te Marc. „Willst du etwa schla­fen gehen oder was soll das?“

„Ich will ganz bestimmt nicht schla­fen“, erwi­der­te Sandra ver­är­gert. „Dafür hast du wohl im Physikunterricht gepennt. Los, ihr zwei Muskelprotze, drückt den Schrank zur Seite, sodass er nur noch auf der Querseite Bodenkontakt hat.“

„Ich ver­ste­he“, sag­te Kerstin. Und schon zeig­te sie den Jungs, was sie und Sandra mein­ten. Zu Dritt kipp­ten sie den Schrank schräg, sodass er fast umge­fal­len wäre, wenn nicht ein wei­te­rer Schrank neben­an gestan­den hätte.

Sandra schob nun die Decke unter den teil­wei­se hoch­ge­ho­be­nen Schrank, wobei sie eine Wulst bis zur Kante drück­te. „Jetzt könnt ihr den Schrank lang­sam wie­der run­ter­las­sen, und dann machen wir das glei­che Spiel auf der ande­ren Seite.“

Als der Aktenschrank nun zur ande­ren Seite gekippt war, konn­te Sandra die Deckenwulst her­aus­zie­hen. Der Schrank stand jetzt kom­plett auf der Decke.

„Und was soll das Ganze?“, frag­te Marc immer noch skeptisch.

„Reibung heißt das Zauberwort“, ant­wor­te­ten Kerstin und Sandra im Chor und Kerstin ergänz­te: „Lasst uns an der Decke zie­hen. Kevin, du passt auf, dass der Schrank seit­lich nicht umkippt.“

Ohne gro­ße Kraftanstrengung ließ sich der schwe­re Aktenschrank nach vor­ne zie­hen. Die Decke hat­te die Reibungskräfte zum Fußboden stark ver­min­dert. „Bingo, Volltreffer! Da ist tat­säch­lich ein Durchbruch in der Wand!“, rief Sandra begeistert.

Es war kei­ne Tür im her­kömm­li­chen Sinn. Es sah eher nach einem aus­ge­frans­ten, run­den Loch aus. „Das gibt es doch nicht“, rief Kevin auf­ge­regt. „Dieses Loch wur­de ein­deu­tig erst spä­ter rein­ge­stemmt. Warum hat man nicht gleich eine rich­ti­ge Tür eingebaut?“

„Vielleicht ist man erst spä­ter auf die Idee gekom­men, die alten Stollen zu unter­su­chen, und der Durchgang war die schnells­te Möglichkeit“, ver­mu­te­te Marc und beäug­te neu­gie­rig das Loch in der Wand.

„Egal, ich will da rein!“, beschloss Sandra. „Ihr habt doch eure Taschenlampen dabei, oder?“

Marc war schon durch das Loch in der Betonwand ver­schwun­den.  „Beeilt euch, hier fängt ein Gang an.“

Der Stollen war recht gut erhal­ten und mit über zwei Metern Höhe nicht gera­de klein. Die Wände waren aus Backsteinen gemau­ert und mit Spinnweben und Schmutz über­zo­gen. Bereits nach kur­zer Zeit mün­de­te der Gang in einem qua­dra­ti­schen Raum.

„Da gehen gleich drei Stollen ab. Wir sind mit­ten im Labyrinth der tau­send Gänge“, wit­zel­te Kevin.

„Falsch, mein lie­ber Bruder.“ Kerstin schüt­tel­te den Kopf. „Ein Labyrinth hat näm­lich immer exakt einen Eingang und einen Ausgang. Das, was wir hier haben, ist ein Irrgarten. Und für sol­che Fälle habe ich stets ein Stück Kreide dabei.“

Kerstin mar­kier­te den Weg, auf dem sie her­ge­kom­men waren mit einem Dreieck. Nun mal­te sie neben dem rech­ten der drei Stollen ein Viereck. „Lasst uns die­sen Weg nehmen.“

Die ande­ren folg­ten ihr. Dieser Weg war ziem­lich kurz und ende­te als Sackgasse in einem win­zi­gen Kämmerchen. „Sackgasse, Fehlanzeige. Wir müs­sen zurück“, bestimm­te Kerstin.

Die vier benö­tig­ten nur eine Minute, um zurück in den vor­her­ge­hen­den Raum zu gelan­gen. Diesmal mar­kier­te Kerstin den mitt­le­ren Weg mit einem Fünfeck. Dieser Stollen war deut­lich län­ger als der vor­he­ri­ge. An einer Stelle ging es sogar über meh­re­re Treppenstufen nach unten.

Kevin, der vor­aus­ging, blieb hin­ter einer schar­fen Biegung so abrupt ste­hen, dass die ande­ren ihn fast umrannten.

„He, was ist los?“, schimpf­ten sie.

„Das ist los!“ Kevin leuch­te­te auf einen Erdrutsch, der den Stollen verschüttete.

„Na toll, wenn das der rich­ti­ge Weg zum Schatz ist, haben wir ein mas­si­ves Problem. Das krie­gen wir wahr­schein­lich nicht weg­ge­tra­gen.“ Marc trat an den Erdhaufen und betrach­te­te ihn verärgert.

„Davon abge­se­hen dürf­te es gefähr­lich sein. Vielleicht rutscht dann noch mehr nach.“

„Kommt, lasst uns umkeh­ren“, schlug Sandra vor. „Einen Weg haben wir ja noch.“

So mach­ten sich die wil­den Vier in dem schmut­zi­gen Stollen erneut auf den Rückweg. Zum Glück schien es genü­gend Sauerstoff zu geben. Nach eini­ger Zeit waren sie am Ausgangspunkt angelangt.

Angespannt folg­ten sie dem letz­ten noch ver­blie­be­nen Stollen. Es schien, als ver­lief der Gang mehr oder weni­ger par­al­lel zur Außenwand des Rathauskellers. Sandra, die die Führung über­nom­men hat­te, ent­deck­te auf dem Boden einen klei­nen Wasserfleck, und weni­ge Sekunden spä­ter ent­deck­te sie einen wei­te­ren. So ging es ein paar Mal, und die Flecken wur­den immer größer.

Schließlich stan­den sie erneut in einer Sackgasse. Oder viel­leicht doch nicht? Der Stollen war dies­mal näm­lich nicht durch einen Erdrutsch ver­stopft, es han­del­te sich viel­mehr um eine Tür. Und zwar eine mas­si­ve Eisentür.

„Dann lasst mich mal vor­bei“, tat sich Kevin wich­tig und hielt schon sei­ne Dietriche in der Hand. Vor Kevin war kein Schloss sicher, wenn es sich nicht gera­de um ein Sicherheitsschloss han­del­te. Dementsprechend benö­tig­te er nur ein paar Sekunden, bis die schwe­re Eisentür mit einem lei­sen Klick aufsprang.

Die vier leuch­te­ten in einen gro­ßen Raum, der dem­je­ni­gen mit den Schränken und Tischen ähnel­te, durch den sie vor­hin die Stollen betre­ten hatten.

„Wisst ihr was?“, sag­te Kerstin. „Wir sind wie­der im Rathauskeller. Dies ist nur ein zwei­ter … Mist, was ist das?“

Kerstin war in eine gro­ße Wasserpfütze getre­ten, die sich direkt vor der Tür befand.

„Jetzt habe ich auch noch nas­se Füße. Passt auf, dass ihr nicht auch rein­tre­tet. Kommt, lasst uns verschwinden.“

Kevin sprang als letz­ter über die Pfütze und schloss die Tür wie­der zu. Sie gin­gen durch den Raum und öff­ne­ten vor­sich­tig die Tür. Der Flur war leer. Doch in wel­che Richtung ging es jetzt zum Aufzug? Die wil­den Vier irr­ten durch die Gänge. Plötzlich stand ein Mann vor ihnen.

„Wo wollt ihr denn hin? Ihr seid doch nicht etwa auf Diebestour?“, sprach er sie mit stren­ger Stimme an.

Sandra reagier­te sofort: „Nein, nein, ent­schul­di­gen Sie bit­te. Wir waren bei der Fahrradversteigerung und haben uns auf dem Rückweg ver­lau­fen. Würden Sie uns bit­te heraushelfen?“

Der Mann lach­te. „Dann läuft ihr aber schon eine Weile hier unten her­um. Die Versteigerung ist seit über einer hal­ben Stunde vor­bei. Nun kommt mal mit.“

Die wil­den Vier staun­ten nicht schlecht, denn sie waren nur weni­ge Meter und zwei Abbiegungen von den ret­ten­den Aufzügen ent­fernt. Der Mann beglei­te­te sie nach oben bis zur Eingangshalle des Rathauses.

„Das nächs­te Mal nehmt lie­ber was zu essen mit, falls ihr euch wie­der ver­lauft“, wit­zel­te er zum Abschied.

Die Klassenkameraden durch­quer­ten die Mall mit den vie­len Geschäften und ver­lie­ßen das Rathauscenter in Richtung Bismarckstraße. Alle vier waren froh, end­lich wie­der Tageslicht zu sehen.

„Was machen wir jetzt? Wir waren schon so weit und haben doch ver­lo­ren“, beschwer­te sich Marc. „Warum muss­te die­ser Stollen nur ver­schüt­tet sein? Ich sag’s euch, das wäre unser Haupttreffer gewesen.“

„Jetzt war­te erst mal ab“, ant­wor­te­te Sandra. „Mich bedrückt etwas ganz ande­res. Und zwar, war­um da jemand kurz vor uns in den Stollen war.“

„Was?“, rie­fen die ande­ren drei überrascht.

Frage: Woran erkann­te Sandra, dass erst kurz vor­her jemand in dem Stollen gewe­sen sein musste?

Antwort: .nehes uz nedoB med fua nekcelfressaW nellotS mi neraw blahseD .nefua­leg eztüfpressaW eid hcrud iebad tsi dnu neter­teb rütllateM eid hcrud nellotS ned tah dnameJ