Dem Geheimnis auf der Spur
Autor: Harald Schneider
Die Lösung zu der verschlüsselten Geheimbotschaft war verblüffend einfach. Allerdings nur, wenn man den Code richtig zu deuten wusste.
Die wilden Vier hätten am liebsten auf der Stelle nachgesehen, was sich hinter dem Kalender im Büro verbirgt. Doch sie wurden auf die Folter gespannt. Ausgerechnet an diesem Mittag hatten sie ihre wöchentliche Schulsport-AG. Die Teilnahme war Pflicht, weil demnächst die Bundesjugendspiele stattfanden. Der Trainer wunderte sich über die schlechte Leistung seiner Schüler, die an diesem Tag nicht ganz bei der Sache waren.
Nach dem Sportunterricht mussten die Zwillinge mit ihren Eltern einkaufen gehen. Es war einfach zum Verrücktwerden. Aber sie wollten unter allen Umständen bei der Lösung dieses aufregenden Abenteuers dabei sein.
So konnten sich die vier erst am Samstagmorgen treffen, um endlich ein zweites Mal das verlassene Gelände unter die Lupe nehmen zu können. Marc kam gerade noch pünktlich zum vereinbarten Treffpunkt. Er war bei seinem Onkel Franz gewesen und hatte sich mal wieder Elvis, den Dalmatiner ausgeliehen.
„Pass aber auf, dass er uns nicht wieder alles vollpinkelt“, ärgerte ihn Kerstin schelmisch.
Das Eingangstor konnten sie ungehindert und ohne neugierige Blicke von fremden Leuten passieren. Es waren keine neuen Reifenspuren im Hof zu sehen. Wahrscheinlich war der Boden inzwischen zu trocken. Die Haustüre war mit dem Dietrich in wenigen Sekunden geöffnet.
Die wilden Vier wussten bereits, hinter welchem Kalender die Nachricht stecken musste. Er war ihnen beim letzten Besuch aufgefallen, da er riesengroß und mit vielen Schrauben direkt an der Wand befestigt war. Das oberste Kalenderblatt war schon über ein Jahr alt und zeigte die Tower Bridge in London, die über die Themse führt. Als die Freunde das letzte Mal hier gewesen waren, hatten sie sich nicht weiter um den Kalender gekümmert, da die vier zu diesem Zeitpunkt von der versteckten Nachricht noch nichts wissen konnten.
„Mist“, schimpfte Marc ärgerlich. „Ausgerechnet jetzt, wo es spannend wird, braucht Elvis einen Baum, um sein Bein heben zu können. Ich gehe mal schnell mit ihm raus. Bitte wartet auf mich.“
Während Marc mit seinem Dalmatiner aus dem Haus ging, untersuchten die drei anderen den geheimnisvollen Kalender. Und siehe da: Er ließ sich trotz seiner stabil aussehenden Befestigung ganz leicht abnehmen. Auf der Rückseite des letzten Blattes war in der Mitte ein kleiner Briefumschlag befestigt.
Kerstin nahm den Umschlag ab, der mit Kreppband am Kalender festgeklebt war, und öffnete ihn. Ein kleiner Zettel fiel heraus. Sie bückte sich, um ihn aufzuheben und las dann laut vor: „Nächste Lieferung diesen Samstag. 500 U, 300 A, gleiche Zeit, gleicher Ort.“
„Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?“, fragte Kevin, „ist das auch wieder verschlüsselt?“
Kerstin unterbrach ihn: „Das ist doch klar! 500 U und 300 A sind Abkürzungen für die Waren, die in den Kartons stecken. Was da drin ist, kriegen wir noch raus. Wichtiger ist der Liefertag, der hier steht. Das Zeug kommt bereits heute. Wir sollten jetzt auf jeden Fall etwas vorsichtiger sein.“
„Das hättet ihr euch früher überlegen sollen!“, ertönte in diesem Moment eine laute Frauenstimme direkt hinter ihren Rücken.
Erschrocken zuckten die drei zusammen. Die ihnen bereits bekannte Frau und die beiden Männer hatten sie überrascht.
Die Gauner sahen angsteinflößend aus. Zuerst versperrten sie den Ausgang, dann kamen sie langsam immer näher. Die Ertappten wichen verängstigt zurück, bis sie vor der abgeschlossenen Kellertür wie in einer Sackgasse standen. „Wie habt ihr die Nachricht hinter dem Kalender gefunden?“, schnaubte einer der beiden Männer wütend. Er war auffällig dick und hatte einen Glatzkopf.
„Seit wann schnüffelt ihr uns nach?“
Kerstin wollte gerade etwas erwidern, da fiel ihr Sandra ins Wort: „Was wollen Sie denn von uns? Der Zettel lag hier auf dem Boden. Wir haben in diesem Haus nur Verstecken gespielt. Jetzt lassen Sie uns raus, wir müssen heim.“
„Haha, das sollen wir euch glauben?“, polterte die Frau, die am letzen Mittwoch von einem der Männer mit Andrea angesprochen worden war.
„Ihr habt uns nachspioniert, so sieht es aus. Aber ihr macht uns bei diesem Geschäft keinen Strich durch die Rechnung. Alles hat bisher einwandfrei und problemlos geklappt und niemand hat den geringsten Verdacht geschöpft. Das lassen wir uns von ein paar Kindern wie euch nicht kaputt machen. Umsonst haben wir uns nicht so abgerackert!“
Zu den beiden Männern gewandt sprach sie in befehlendem Ton: „Ich denke, wir sperren diese Horde zunächst mal im Keller ein und besprechen dann in Ruhe alles Weitere.“
Einer der beiden Männer zog einen kleinen Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnete das Sicherheitsschloss an der Kellertür. Dann schubsten die drei Erwachsenen die Kinder die Treppe hinunter.
Kerstin, Kevin und Sandra taumelten orientierungslos im Dunkeln nach unten. Glücklicherweise fiel niemand hin. Im selben Moment wurde oben die Tür wieder verschlossen.
Kevin reagierte am schnellsten und tastete sich in der Dunkelheit an den Lichtschalter heran, denn er hatte das kleine Kontrolllicht am Schalter entdeckt.
Im Keller roch es modrig, es war ein ungemütlicher und kalter Ort. Die schwache elektrische Birne, die an der Decke in einer Fassung ohne Lampenschirm hing, verbreitete ein unheimliches und schummriges Licht. Aus ihrem unbehaglichen Gefängnis schien es außer der Kellertreppe keinen weiteren Ausgang zu geben.
Das Untergeschoss bestand aus einem einzigen großen fensterlosen Raum, der mit altem, staubigem Gerümpel vollgestopft war. In einer Ecke standen ein kleiner Tisch und vier Stühle, ein kleines Regal und eine auffällig grünlackierte Truhe mit breiten Scharnieren. Die Möbel standen vermutlich noch nicht lange hier, denn sie waren weder verdreckt noch verstaubt.
Sandras Stimme klang etwas zittrig: „Oh Mann, was machen wir jetzt? Wie kommen wir bloß wieder raus?“
„Keine Ahnung, schauen wir uns erst einmal etwas um, dann fällt uns bestimmt etwas ein“, beruhigte sie Kevin. „Die Sitzgruppe scheint das einzige Interessante hier unten zu sein.“
Während Kerstin bereits dabei war, den anderen Krempel systematisch nach etwas Brauchbarem zu durchsuchen, ging Kevin zu dem Regal. Er fand jedoch nur einige verrostete Metallteile. Nachdem er den Schrott begutachtet hatte, versuchte er, die auf dem Boden stehende Truhe zu öffnen. Er schaute sich die Verschlussscharniere eingehend an und kam dann resignierend zu dem Schluss: „Nichts zu machen, die ist mit zwei kleinen, aber sehr modernen Schlössern verriegelt.“
„Ich habe das passende Werkzeug dabei. Die Gauner haben es übersehen, weil sie mir den Rucksack nicht abgenommen haben“, grinste Sandra und machte sich an die Arbeit. Sie öffnete ihren Rucksack und fischte diverse kleine und große Schraubendreher, eine Zange und ein paar kleine Metallhaken heraus.
Nach einer genauen Überprüfung der Truhe war sie der Meinung, dass es am einfachsten war, die eisernen Scharniere der Truhe abzuschrauben, um den Deckel komplett abheben zu können. Die Aktion dauerte nur wenige Minuten, dann konnten die drei den Deckel der Kiste abnehmen.
„Wow“, staunte Kerstin, als sie es in der Truhe glitzern und funkeln sah. „Das müssen Unmengen an Uhren sein.“
Kevin bekam große Augen und nahm eine der goldenen Armbanduhren heraus, um sie eingehender betrachteten zu können. „Das sind sicher ganz teure Markenfabrikate. Die kleinen Funkelsteine auf den Einfassungen sind bestimmt kostbare Diamanten oder andere Edelsteine. Ob die Uhren irgendwo geklaut wurden?“
Kerstin wurde aus heiterem Himmel etwas blasser im Gesicht. „Versteht ihr denn nicht?“, flüsterte sie. „Da oben sind die Diebe, die uns hier unten mit ihrer Beute eingesperrt haben. Die wollen doch bestimmt die Truhe mit den Uhren wiederhaben!“
Kevin blieb cool und versuchte sie zu trösten: „Keine Angst, wir brauchen uns im Moment keine allzu großen Sorgen zu machen. Ich bin sicher, wir kommen hier wieder heil und gesund raus.“
Frage: Warum war sich Kevin so sicher, dass sie bald befreit werden?
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